Die Götter 2. Das magische Zeichen
«
Zejabel verstummte und schien nach den richtigen Worten zu suchen. Schließlich fuhr sie fort: » Sicher habt ihr auch schon darüber gesprochen: Es war Kebree, der Alarm geschlagen hat. Er reiste von Wallos nach Lorelia, mit einem Umweg über Arkarien, um Bowbaq Bescheid zu sagen. Seine Kinder begleiteten ihn. «
Abermals musterte Zejabel die beiden Wallatten mit unergründlicher Miene.
» Er behauptete, euch den Grund der Reise nicht verraten zu haben. Stimmt das? «
» Natürlich! « , empörte sich Maara. » Mein Vater ist … Er ist kein Lügner! «
Die Erschütterung der Kriegerprinzessin war spürbar. Erst mitten im Satz hatte sie gemerkt, dass es passender gewesen wäre zu sagen: » Mein Vater war kein Lügner. «
» Und? « , drängte Guederic. » Was hatte Ke’b’ree Wichtiges zu erzählen? «
Die Zü warf ihm einen seltsamen Blick zu. Sie schien hin und her gerissen zwischen dem Impuls, ihn in den Arm zu nehmen oder ihm an die Gurgel zu springen. Plötzlich hatte Damián Angst um seinen kleinen Bruder, obwohl es dafür keinen vernünftigen Grund gab. Schließlich tat Zejabel nichts anderes, als ihn schweigend zu mustern.
» Das wisst ihr doch längst « , sagte sie schließlich. » Oder ahnt es zumindest. Was war all die Jahre lang unsere größte Angst? Was ist das Schlimmste, was uns passieren kann? Sombre ist zurück. «
Die Worte hallten in Lorilis’ Ohren wie das Sirren eines Fallbeils. Eine scharfe Klinge, die auf sie herabsauste, ein Geräusch, das sie bis in den Tod begleitete. Dabei war sie nicht tot, sondern saß immer noch mit dem Rücken zur Wand auf dem Boden des Lesesaals. Ihre Augen brannten, weil sie zu viel geweint hatte, und sie fühlte sich hundeelend, aber sie war quicklebendig – im Gegensatz zu ihren geliebten Eltern. Irgendwie fühlte sich Lorilis schuldig an ihrem Tod. Sie wusste, dass es dafür keinen Grund gab, aber das Gefühl war stärker als die Vernunft. Alles war so himmelschreiend ungerecht. Hatte das Schicksal nichts anderes im Sinn, als das Leben unschuldiger Menschen zu zerstören? Für die Erben von Ji war Zejabels Nachricht der schwerste Schlag, den es geben konnte. Alles, wofür Generationen vor ihnen gekämpft hatten, war zunichtegemacht. Alle Hoffnung war dahin. Dieser Gedanke war so grausam, dass Lorilis überhaupt nicht auf die Idee kam, die Folgen für ihr eigenes Leben zu bedenken.
» Unmöglich « , sagte Damián. » Ich habe das Tagebuch meines Vaters gelesen. Sombre ist tot. Alle Götter sind tot. Sie haben sich zusammen mit dem Jal aufgelöst. «
» Die Götter sind verschwunden « , verbesserte ihn Zejabel. » Aber wir wissen nicht, was genau mit ihnen geschah. Eryne hatte manchmal Visionen von einer anderen Welt. «
» Dem Jal « , sagte Damián.
» Nein, nicht vom Jal. Von einer noch ferneren Welt, einer Welt jenseits des Jal. Von dem Ort, an dem die Seelen der Sterblichen eigentlich ihre letzte Ruhe finden sollten, statt ins Dara oder Karu einzugehen. «
» Eure religiösen Spitzfindigkeiten interessieren mich nicht « , brauste Maara auf. » Was ist wirklich geschehen? Was hat mein Vater gesagt? «
Wieder ließ sich die Zü mit der Antwort Zeit. Sie schien ihre Worte mit Bedacht wählen zu wollen. Lorilis wartete ergeben, bis Zejabel zu sprechen anhob. Denn ganz gleich, was sie erzählen würde, nichts konnte Niss und Cael, Yan und Léti, Bowbaq, Corenn, Grigán und die anderen zurückbringen. Trotzdem war das Mädchen überrascht, als die Zü plötzlich sagte:
» Keb war einem Mann begegnet, der behauptete, Usul zu sein. «
Die anderen brauchten einen Moment, um diese Nachricht zu verdauen, aber die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten.
» Das kann nicht sein « , sagte Damián verwirrt.
» Der allwissende Gott? « , vergewisserte sich Najel. » Der Gott, den Yan … äh … der tot ist, weil … «
Der Junge verstummte verlegen, aber er musste den Satz nicht beenden. Lorilis erinnerte sich sehr genau an diesen Teil der Vergangenheit ihres Vaters, auch wenn sie erst am Abend zuvor davon erfahren hatte: Cael hatte Usul getötet, in einem jener Momente, als er von seinem inneren Dämon beherrscht wurde.
» Was redest du da? « , fragte Maara unwirsch. » Wann soll das gewesen sein? Und wo? «
» Das weiß ich nicht. In einer eurer Provinzen. Jemand erzählte deinem Vater von einem Mann, der als Einsiedler am Ufer eines Sees lebte und halb verrückt war. Niemand hatte ihn je zuvor zu Gesicht bekommen. Doch seit ein
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