Die Götter 2. Das magische Zeichen
war, als könnte sich jeden Moment die Erde unter ihm auftun und ihn verschlingen. Dann würde er in bodenlose Finsternis fallen und nie mehr zurück an die Oberfläche kommen. Ihm war furchtbar schwindelig, und ein überwältigendes Gefühl von Einsamkeit stieg in ihm auf. Noch schlimmer war die abgrundtiefe Verzweiflung, die ihn angesichts der Katastrophe packte. Sein Leben war zerstört. Seine Eltern und Großeltern … tot! Und dann auch noch auf so grausame und zugleich lächerliche Art – nach all den Gefahren, die sie bestanden hatten.
Niemals hätte er gedacht, dass eine solche Tragödie möglich wäre. Erst vor wenigen Dekanten hatte er seinem Bruder gestanden, dass ihm die Vorfälle der letzten Tage Angst machten. Doch dieses Gefühl war nichts gewesen im Vergleich zu dem, das ihn jetzt packte. Er trauerte um seine Eltern und musste zugleich jede Hoffnung auf Unterstützung von außen aufgeben: Niemand würde der jüngsten Generation Erben zu Hilfe kommen. Kein erfahrener Kämpfer, kein Ratgeber würde ihnen den Weg weisen. Niemand würde ihnen sagen, welche Kämpfe sie besser mieden und welche sie um jeden Preis austragen mussten. Zejabel schien jedenfalls nicht in der Lage zu sein, diese Aufgabe zu übernehmen.
Plötzlich konnte Damián wieder klar denken, und er sah Zejabel mit neuen Augen: Die Zü trug denselben Namen wie er. Sie war keine Fremde, sondern seine Tante. Auch wenn sie nicht durch die Bande des Bluts vereint waren, so doch durch die Bande der Liebe. Seit drei Tagen trauerte Zejabel um ihren Mann. Zudem quälte sie ihr Gewissen, weil sie überzeugt war, am Tod jener Menschen schuld zu sein, die ihr alles bedeuteten. Damián hätte nicht mit ihr tauschen wollen. Zejabel musste noch viel erschütterter sein als er selbst.
Seltsamerweise half ihm dieser Gedanke, sich zu beruhigen. Die Welt um ihn herum fügte sich wieder zusammen. Er durfte nicht aufgeben, musste herausfinden, was mit ihren Eltern geschehen war. Er musste wissen, ob das alles nicht nur ein schrecklicher Irrtum war.
» Erzähl « , bat er mit tonloser Stimme. » Von Anfang an. «
Zejabel nickte, das Gesicht immer noch in den Händen vergaben. Es dauerte einen Moment, bis sie aufhören konnte zu schluchzen. Als sie dann den Blick hob, hatte sich ihr Gesichtsausdruck verändert. Sie wirkte erleichtert. Endlich hatte sie ihnen ihre Schuld gebeichtet: Nun konnte sie auch den Rest erzählen. Die Zeit der Trauer war vorbei. Zejabel würde nicht mehr weinen. Im Gegenteil, sie konnte es kaum erwarten, zur Tat zu schreiten.
» Alles fing vor einer halben Dekade ein « , begann sie. » Eine Taube traf auf der Burg ein und überbrachte uns eine Nachricht von Amanón. Er forderte uns auf, ihn in Berce zu treffen. «
» In Berce? « , fragte Maara.
» Ein Küstendorf im Süden Loreliens « , erklärte Josion. » Ganz in der Nähe der Insel Ji. «
» Ihr habt euch nicht mit den anderen im Haus meiner Eltern in Lorelia getroffen? « , fragte Damián verblüfft.
» Nein. Dein Vater wusste, dass wir länger brauchen würden als die anderen, um in den Süden Loreliens zu reisen, selbst wenn wir sofort aufbrachen. Deshalb hat er uns gleich nach Berce bestellt, den Ort, an den er die anderen führen wollte. Hätten sich seine Pläne geändert, hätte er uns einfach einen Boten entgegengeschickt. «
Damián nickte traurig. Ein solcher Weitblick war typisch für Amanón. Wie sollte er nur den Gedanken ertragen, seinen Vater nie wiederzusehen?
» Einen Tag später trafen Nolan und ich in Berce ein « , fuhr Zejabel fort. » Cael erwartete uns am Dorfrand. Er führte uns zu einem kleinen Strand, und wir bestiegen ein Ruderboot, das uns zu dem Kutter brachte. Amanóns Nachricht war bereits ein Hinweis darauf gewesen, dass etwas Schlimmes vorgefallen war. Dass sich all meine ehemaligen Gefährten in Lorelia versammelt hatten, bestätigte meine Befürchtungen. Allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, auch Kebree auf dem Kutter anzutreffen. «
Bei diesen Worten wanderte ihr Blick zu Najel und Maara. Die Kriegerin versteifte sich, weil sie offenbar befürchtete, Zejabel könnte sich abfällig über ihren Vater äußern. Doch ihr kam kein böses Wort über die Lippen.
» Nachdem wir an Bord gegangen waren, steuerte Yan die Insel an. Der Kutter war recht schwerfällig, und wir segelten gegen den Wind, deshalb fürchteten wir, die Insel nicht vor Sonnenuntergang zu erreichen. Immerhin hatten wir so genug Zeit, einander Bericht zu erstatten.
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