Die Götter 2. Das magische Zeichen
dann schafft ihr es nicht, sie einzuhalten. «
Die beiden Männer lachten über die Bemerkung, verstummten aber schnell wieder. So lustig waren Maaras Worte gar nicht gewesen. Es lag eine große Weisheit darin, die man in den Oberen Königreichen offenbar längst vergessen hatte. War tatsächlich ein Übermaß an Gesetzen schuld am Unglück der Menschen? Gerieten die Lorelier in die Fänge von Sekten, weil sie ihrem starren Alltag entkommen wollten? Gab es wirklich zu viele Verbote?
In dieser Nacht würden die Erben jedenfalls einige davon brechen.
Die Reste des Abendbrots und das benutzte Geschirr waren längst abgeräumt, und in der Kombüse der Wasserratte herrschte tiefe Stille. Nach Najels Erfahrung war so etwas immer ein Vorbote dafür, dass bald etwas passieren würde. Der Junge langweilte sich so sehr, dass er fast auf einen Zwischenfall hoffte.
Seit über einem halben Dekant rutschte er unruhig auf der Bank herum und wartete auf die Rückkehr seiner Schwester. Er hätte lieber etwas Sinnvolles getan, aber sie hatten nicht einmal mehr Pferde, um die er sich hätte kümmern können. All seine Gefährten an Bord waren mit sich selbst beschäftigt. Zejabel und Guederic überwachten den Pier, jeder auf einer Seite des Schiffs. Souanne wiederum hatte sich nach einem kurzen Aufenthalt an Deck in die Kajüte zurückgezogen, und Lorilis saß tief über ihr Schreibheft gebeugt und sah selbst beim Eintunken der Feder kaum vom Papier hoch. Najel wollte sie nicht stören, und so begann er, in Corenns Tagebuch zu blättern. Doch er war nicht in der Stimmung zu lesen und legte das Buch bald wieder weg.
Nachdem er eine kleine Ewigkeit an die Decke gestarrt hatte, riss ihm der Geduldsfaden. Er stand auf und setzte sich dem Mädchen direkt gegenüber. So musste sie ihn kurz ansehen. Sie schenkte ihm ein blasses Lächeln.
» Ich will nicht darüber reden, was auf der Insel passiert ist « , sagte sie rasch. » Über diese Magie. Das habe ich auch Damián schon gesagt. Ich muss erst darüber nachdenken. «
» Kein Problem, aber ich wollte dir wenigstens danken. Ohne dich wäre ich jetzt vielleicht … «
» Und ich habe gehört, du hättest mich beschützt, als ich bewusstlos am Boden lag « , unterbrach sie ihn. » Dann sind wir quitt. Reden wir nicht mehr davon. «
Auch wenn ihr das Thema sichtlich unangenehm war, schien sie zu bereuen, ihm nicht schon eher gedankt zu haben. Najel fand ihre Befangenheit charmant. Nur selten traf er jemanden, der noch schüchterner war als er.
» Was schreibst du da eigentlich? « , fragte er weiter. » Ein Reisetagebuch, wie Amanón und Corenn? «
Das Mädchen schaute ihn verwirrt an. Jetzt war er derjenige, der verlegen die Augen niederschlug. Woher nahm er sich das Recht, sie mit Fragen zu löchern? Wie konnte er so aufdringlich sein? Doch Lorilis’ Antwort machte ihm klar, dass er ihren Blick falsch gedeutet hatte: » Auf die Idee bin ich noch gar nicht gekommen … Ich schreibe meinen Eltern einen Brief. Auf diese Weise bin ich beschäftigt und … Man weiß ja nie … Falls mir etwas passiert und sie noch leben … «
Sie machte eine vage Handbewegung, als wollte sie sagen: » Dann erfahren sie wenigstens, was wir durchgestanden haben, und haben eine Erinnerung an mich … «
» Mir wäre gar nicht eingefallen, einen Bericht über unsere Reise zu schreiben « , erklärte sie weiter. » Aber es stimmt, so etwas könnte nützlich sein … «
Nachdenklich schaute sie auf den Stapel bereits vollgeschriebener Seiten. Najel fürchtete, sie könnte sich die Blätter schnappen, alles zerreißen und noch einmal von vorn anfangen. Er kannte Lorilis mittlerweile recht gut, und ihm war nicht entgangen, dass sie immer ihr Bestes geben wollte.
» Wir werden deinen Eltern unsere Geschichte von Angesicht zu Angesicht erzählen « , versprach er. » Ich bin sicher, dass sie noch leben. Sogar unsere Feinde suchen nach ihnen. «
» Ich hoffe es … Aber wo sind sie dann? Warum haben wir immer noch nichts von ihnen gehört? Schließlich hatte Zejabel keinen großen Vorsprung. Warum sind sie nicht auch zur Burg gekommen? «
» Wir werden den Grund schon noch herausfinden « , versicherte Najel, obwohl ihm klar war, wie gewagt diese Aussage war. Aber an diesem Abend wollte er kein Schwarzseher sein, wenigstens nicht bis zu Maaras Rückkehr.
» Alles wird gut « , sagte er mit Nachdruck. » Deine Eltern und Großeltern sind von ihren Feinden einmal quer durch die bekannte Welt gejagt worden,
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