Die Götter 2. Das magische Zeichen
«
Josion antwortete nicht gleich. Er schaute immer wieder hoch zu den Dächern, außer wenn einer der wenigen nächtlichen Passanten an ihnen vorbei nach Hause eilte.
» Ich versuche, einen Weg für uns zu finden « , erklärte er. » Wir können nicht einfach so an der Fassade hochklettern, das wäre viel zu gefährlich. Wir müssen uns dem Gebäude über die Dächer der umliegenden Häuser nähern. «
» Ich hoffe doch sehr, dass wir uns nicht an irgendwelchen Regenrinnen durch die halbe Stadt hangeln müssen « , brummelte die Kriegerin.
» Du wolltest mitkommen « , erinnerte sie Josion. » Wenn du Angst hast, kannst du ja unten auf uns warten. «
» Ich habe keine Angst! Ich langweile mich, das ist alles! «
Innerlich schickte Maara noch eine ganze Reihe wüster Flüche und Beleidigungen hinterher, aber sie war vernünftig genug, sie nicht laut auszusprechen. Diesem Luftakrobaten würde sie schon zeigen, dass eine wallattische Prinzessin vor nichts zurückschreckte!
Ein paar Schritte weiter blieb Josion plötzlich stehen. Maara glaubte schon, dass er endlich mit seinen Beobachtungen fertig war, aber er drehte sich hastig zu ihr um und wollte ihre Hand greifen.
» Was machst du da? « , protestierte sie und zog empört den Arm weg.
» Eine Patrouille kommt! « , flüsterte er. » Bei einem Liebespaar werden sie nicht so schnell misstrauisch. «
» Das kannst du vergessen! Verstecken wir uns lieber « , antwortete die Kriegerin abfällig.
Sie hatte kaum zu Ende gesprochen, als vier Uniformierte aus einer nahen Gasse kamen. Mit einem rachsüchtigen Lächeln in Josions Richtung trat Maara neben Damián und hakte sich bei ihm unter. Sie ging sogar so weit, ihm den Kopf an die Schulter zu legen, nur um Josion eins auszuwischen. Wohlverdient, wie sie fand …
Josion zuckte jedoch nur leicht die Schultern und begann eine nichtssagende Unterhaltung mit seinen Gefährten. Die Wachen warfen ihnen einen kurzen Blick zu und gingen an ihnen vorbei.
Als sich Maara wieder von Damián lösen wollte, gerieten beide in eine peinliche Lage. Vielleicht war er immer noch völlig überrascht von ihrer Geste, oder er wusste ganz einfach nicht, wohin mit seinen Armen, aber für einen Moment schien er sie nicht freigeben zu wollen. Sein Zögern war ebenso kurz wie der verstörte Blick, den sie daraufhin wechselten. Zum Glück bekam Josion nichts von all dem mit. Doch Maara warf dieser kurze Zwischenfall für eine ganze Weile aus der Bahn. Erst verhielt sich Guederic ihr gegenüber alles andere als normal, und jetzt fing auch noch sein Bruder an!
War das ein Annäherungsversuch gewesen? Die Prinzessin hatte in solchen Dingen wenig Erfahrung. Wenn ihr zu Hause in Wallos ein Mann gefiel, sagte sie es ihm ohne Umschweife und bekam immer, was sie wollte. Ohne eine ausdrückliche Aufforderung hätten die Untertanen ihres Vaters es jedoch nie gewagt, ihr den Hof zu machen … Die jetzige Situation war vollkommen neu für sie.
Unwillkürlich dachte sie darüber nach, welchem Sohn der Familie de Kercyan sie den Vorzug geben würde. Sehr schnell fiel ihre Wahl auf Guederic. Seine spitzbübische Art war sehr charmant, und sie fühlte sich eindeutig zu ihm hingezogen, ein Gefühl, das sie nicht einfach ignorieren konnte. Leider war er jedoch auch ein Fremder, den Ke’b’ree zum Tode verurteilt hatte, und ohne den Grund dafür zu kennen, würde sie sich nie auf ihn einlassen können.
Ohnehin war dies weder der richtige Moment noch der richtige Ort, um über solche Fragen nachzudenken. Also schlich Maara weiter hinter Josion her, während Damián still und nachdenklich neben ihr ging. Zum Glück dauerte dieser unangenehme Zustand nicht lange an. Josion hatte einen Ausgangspunkt für ihre Klettertour gefunden.
» Wir können am Fachwerk hoch bis zu dem Vorsprung dort klettern, und von da bis zum Dach des Nachbarhauses. Oben laufen wir dann bis zu dem Haus da hinten, und dann sind wir schon ganz in der Nähe vom Palast. «
» Bist du sicher? « , murmelte Damián. » Es sieht gar nicht so nah aus … Ich kann das Gebäude von hier aus nicht sehen … «
» Es ist da hinten, neben dem alten Theater « , beruhigte ihn sein Cousin. » Vertrau mir. Wenn man einmal oben ist, sind die Entfernungen viel kürzer. «
Gesagt, getan: Josion schaute sich kurz um und hechtete dann regelrecht die Wand hinauf. Er klammerte sich an einen dicken Balken, der in drei Schritt Höhe aus dem Haus ragte, und schwang sich behände hinauf.
Maara
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