Die Götter 2. Das magische Zeichen
an ihren Gefährten auszulassen – sonst wäre die Stimmung an Bord unerträglich geworden.
Souanne und Guederic gingen sich aus dem Weg und vermieden es tunlichst, irgendwo nur zu zweit zu sein. Najel überlegte, ob sie wohl gestritten hatten, auch wenn das ihr seltsames Verhalten eigentlich nicht erklären konnte. Eher wirkten die beiden Lorelier unzufrieden, ganz so, als fehlte ihnen etwas.
Auch Maara kochte vor Ungeduld. Ihre Langeweile war so groß, dass sie sogar dazu übergegangen war, Corenns und Amanóns Tagebücher zu lesen. Nie zuvor hatte Najel seine Schwester mit einem Buch in der Hand gesehen!
Doch stille Lektüre war nicht das Richtige, um den Tatendrang der Kriegerin zu stillen. Im Gegenteil – je mehr sie über die Vergangenheit erfuhr, desto größer wurde ihre Lust, ihre Feinde zu vernichten und Rache zu nehmen für alles, was sie den Erben je angetan hatten. Maara führte lange Gespräche mit Zejabel, und die beiden schworen einander, den Kerlen ihre Schandtaten hundertfach heimzuzahlen. Najel gefiel es gar nicht, wenn sie so sprachen, denn in seinen Ohren klang das immer, als nähmen sie ihren eigenen Opfertod in Kauf.
Najel hingegen verbrachte die meiste Zeit mit Lorilis. Seit sie zugegeben hatte, über magische Kräfte zu verfügen, fand er sie noch faszinierender. Vermutlich behielt sie noch immer einiges für sich, aber das nahm ihr Najel nicht übel. Er wusste, dass die Kaulanerin ihm mehr vertraute als allen anderen. Wenn sie mit ihm reden wollte, würde er ihr aufmerksam und voller Wohlwollen zuhören, so wie immer. Ansonsten genoss er es einfach, mit ihr Erinnerungen auszutauschen. Er erfuhr, womit sich eine Novizin im Matriarchat die Zeit vertrieb, und erzählte ihr im Gegenzug, wie es sich als Sohn des Königs von Wallatt lebte. Lorilis begeisterte sich dermaßen für seine Geschichten, dass er manchmal den Eindruck hatte, eine wichtige Persönlichkeit zu sein. Dieses Gefühl war neu für ihn, und es erfüllte ihn mit Dankbarkeit.
Außerdem diskutierten sie lebhaft, was sie nach der Begegnung mit Usul tun sollten. Noch hatte keiner der Erben sich dazu geäußert. Alle hofften, von dem einstigen Gott etwas zu erfahren, das ihnen den Weg wies. Anderenfalls bliebe ihnen nur noch die Hoffnung, in Amanóns Aufzeichnungen etwas Aufschlussreiches zu finden – vorausgesetzt, es gelang ihnen, die Schrift zu entschlüsseln. Scheiterten sie aber auch damit, würden die Gefährten in einer Sackgasse stecken.
Najel ging davon aus, dass Maara dann nach Wallos zurückkehren würde, in der Hoffnung, dort wie durch ein Wunder Ke’b’ree vorzufinden – oder um den Thron des Königreichs Wallatt zu besteigen. Würden die anderen seiner Schwester folgen? Nichts deutete darauf hin … Najel hoffte inbrünstig, dass es nie zu einer solchen Entscheidung kommen würde.
Am vierten Tag der Reise erreichte die Anspannung ihren Höhepunkt. Als sie kurz nach Mit-Tag an den ersten Inseln des Schönen Landes vorbeiglitten, standen alle Erben an Deck, auf das Schlimmste gefasst. Sie suchten den Horizont nach dem Segler ihrer Feinde ab und hielten nach anderen möglichen Gefahren Ausschau. Diese Gegend des Mittenmeers stand in keinem guten Ruf. Das Schöne Land war einst sehr reich gewesen, doch in den vergangenen Jahrzehnten hatte die Inselgruppe einige harte Schläge erlitten. Seit in den Provinzen Romins ein Bürgerkrieg ausgebrochen war, hatten sich viele Opfer der blutigen Kämpfe auf Piraterie verlegt, um ihr Überleben zu sichern. Seither tummelten sich vor der Küste zwischen den Städten Manive und Trois-Rives Seeräuber. Die einheimischen Guori, die jahrhundertelang in Frieden gelebt hatten, mussten zu den Waffen greifen, um ihre Heimat zu verteidigen. Leider ohne großen Erfolg: Die Piraten eroberten eine Insel nach der anderen und verjagten die reichen Lorelier oder Goroner, die dort als zahlende Gäste der Guori gewohnt hatten. Einer von Grigáns Freunden, der lange im Schönen Land gelebt hatte, erkannte die Gefahr rechtzeitig und kehrte in die Oberen Königreiche zurück. Aber nicht alle hatten so viel Glück.
Die Plünderung ihrer Reichtümer hatte die Kultur der Guori um zweihundert Jahre zurückgeworfen. Die verschiedenen Stämme sagten sich voneinander los. Einige kehrten zum Ackerbau oder zur Fischerei zurück, während andere selbst Piraten wurden und die romische Küste unsicher machten oder schwächere Stämme überfielen. Handelsschiffe mieden diese Gegend für gewöhnlich, was die
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