Die Götter der Flusswelt - Flusswelt-Zyklus 5
Es gab auch noch andere Geräusche, Automotoren, das Pfeifen und den ausströmenden Dampf von Lokomotiven, das Knistern von Feuer, Blähungen, das Bersten von heruntergefallenen Gläsern oder Geschirr, lautes Gelächter und - wie peinlich! - die Geräusche des elterlichen Geschlechtsaktes. Nach zwei Stunden befahl Frigate dem Computer, die Aufzeichnung zu stoppen.
»Ich nehme an, daß die Unbekannte die Einspielungen nicht aus Boshaftigkeit befohlen hat«, sagte er. »Ihr Zweck muß darin bestehen, uns - ob wir wollen oder nicht - unsere Schwächen und Eitelkeiten zu zeigen, unsere Bedeutungslosigkeit, Selbstsüchtigkeit, Dummheit, unsere Vorurteile; alles, was euch gefällt, alle unangenehmen Eigenschaften. Und zwar, das glaube ich zumindest, mit einem Hintergedanken, einem Ziel. Damit es uns ermöglicht wird, uns zum Besseren hin zu ändern. Ethischer Fortschritt.«
»Es stimmt wahrscheinlich«, sagte Nur. »Aber … Warum ist sie dabei so geheimnisvoll vorgegangen? Warum hat sie Loga umgebracht?«
»Das müssen wir noch herausfinden«, sagte Burton. »Wenn wir es können.«
Die Frau, die die gnadenlosen Projektionen angeordnet hatte, hatte jedoch auch über Mitgefühl verfügt. Um acht Uhr abends verloschen die Wandbildschirme und hellten sich erst wieder um acht Uhr morgens auf. Es gab also doch eine Ruhezeit.
Burton ging an diesem Abend früh in sein Quartier zurück. Er, der sein ganzes Leben lang an Schlaflosigkeit gelitten hatte, konnte auch diesmal nicht einschlafen. Nach zwei Stunden des Umherwälzens, den Kopf voller Szenen aus der Vergangenheit, stand er auf, zog sich an und verließ die Wohnung. Drei Stunden lang flog er mit seinem Stuhl durch die Gänge und Räume und bewegte sich viele Schächte hinauf und hinab. Er wanderte ziellos umher, bis er auf die Idee kam, seine Forschungsarbeiten zu organisieren. Warum ließ er sich vom Computer nicht ein Diagramm anfertigen, fing oben an und arbeitete sich Ebene um Ebene tiefer, bis zum Grund? Er hatte kein bestimmtes Ziel, keine Hoffnung, etwas neues zu finden. Er war ruhelos, er wollte einfach in Bewegung bleiben. Und vielleicht würde er auf etwas stoßen, das unbekannt, nützlich oder beides war.
Auf dem Weg hinauf zum Hangar, seinem Startpunkt, überlegte er es sich wieder anders. Die zwölf gewaltigen Räume, die Privatwelten der Mitglieder des Zwölferrates, sie lockten ihn. Sie würden wenigstens eine gewisse Abwechslung bieten, etwas anderes als die monotone Gleichheit der Gänge und Räume. Seine Stippvisite dauerte vier Stunden. Als er mit ihnen fertig war, wußte er, daß er den anderen sagen würde, auch sie sollten diese faszinierenden Welten erforschen.
Burton besuchte erneut den Hangar und fand ihn, soweit er dies feststellen konnte, unverändert vor. Er zählte die Maschinen, um sich zu vergewissern, daß keine fehlte. Das bedeutete nicht, daß die Agentin seit seinem letzten Besuch nicht doch eine davon benutzt hatte.
Er kehrte um vier Uhr morgens in sein Quartier zurück und schlief von halb fünf bis halb acht. Nachdem er geduscht hatte, faßte er den Entschluß, bei Li Po zu frühstücken. Zuerst rief er ihn an, um sicherzugehen, daß der Chinese heute als Gastgeber an der Reihe war. Sein stattliches, irgendwie mephistophelisch wirkendes Gesicht lächelte.
»Ja, ich freue mich, dich als Gast zu haben. Ich habe eine Überraschung für dich.«
Li Po drehte den Kopf zur Seite und sagte etwas auf Chinesisch.
Ein weiteres Gesicht erschien neben ihm. Burton prallte erschreckt zurück. Es war das Gesicht einer Fremden, einer wunderschönen chinesischen Frau.
13.
Einige Männer und Frauen scheinen Dampflokomotiven zu ähneln, die stetig auf ihren Schienen tuckern, bergauf etwas langsamer (aber gleichmäßig) fahren und bergab im Leerlauf rollen. Andere sind wie Autos mit Verbrennungsmotoren, die andere Wege nehmen, aber dann und wann kein Benzin mehr haben und neu aufgetankt werden müssen.
Li Po schien eine Rakete mit einem unerschöpflichen Treibstoffvorrat zu sein. Er explodierte ständig, wirbelte hier und da herum, geräuschvoll, manchmal anstößig, ließ einen aber ständig wissen, daß er nicht übersehen werden wollte. Seine Gesichtsausdrücke und Gesten erinnerten Burton an die letzte Stanze in Coleridges Kublai Khan:
Und alle ruft, Habt acht! Habt acht! Diese Augen! Dieser Haare Pracht! Wendet ab euren Blick gewiß, Stoßt ihn zurück in seinen Bau. Er nährte sich von Honigtau Und trank
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