Die Götter der Flusswelt - Flusswelt-Zyklus 5
drei Jahre alt und wurde gerade heftig von seinem Privatlehrer verprügelt. »Dabei habe ihm nur gesagt, daß sein Atem stinkt wie der eines kranken Hundes«, murmelte Burton. »Und daß er zu oft furzt. Das war alles.«
Burton hatte zu dieser Zeit zwar noch nicht lesen können, aber der Privatlehrer hatte schon angefangen, ihn Latein zu lehren. Im Alter von zehn Jahren würde Burton weitaus größere Lateinkenntnisse haben als sein Lehrer, und es fließend sprechen.
»Das aber nur trotz ihm, nicht wegen ihm. Ich hatte eine angeborene Liebe für Sprachen, die mir kein brutaler Pedant austreiben konnte. Leider haßten die meisten Jungen den Stoff so sehr wie die Rute ihres Lehrers. Für sie war das eine gleichzeitig das andere.«
Die Projektion, die seine Vergangenheit zur Schau stellte, erschien an der Wand neben der gerade geschlossenen Tür. Burton setzte sich in den Flugstuhl, der dort abgestellt war und drehte ihn so, daß er sich mit dem Rücken zur Tür befand. Augenblicklich erschien die Projektion auf der gegenüberliegenden Wand. Burton zog schalldichte Kopfhörer über die Ohren und eine lange Sonnenblende über den Kopf. Wenn er den Blick senkte, konnte er das Bild nicht mehr sehen. Offenbar hatte der Computer keinen Befehl, die Projektion auf den Boden zu werfen. So konnte Burton das Buch lesen, das er sich nah vor die Brust hielt, ohne etwas von der Vorführung zu sehen oder zu hören.
Das Buch war die Grammatik der etruskischen Sprache des römischen Kaisers Claudius, die der Computer für ihn ausfindig gemacht und reproduziert hatte. Irgendwann während des Erdmittelalters war sie verlorengegangen, doch ein Agent der Ethiker hatte eine Ausgabe fotografiert, kurz nachdem Claudius sein Werk vollendet hatte. Während die Linguisten der Erde den Verlust der Grammatik beklagten, war sie ein Jahrtausend in den Unterlagen der Ethiker vorhanden gewesen.
Obwohl er sich in das Buch vertieft hatte, mußte er dann und wann auf die Projektion schauen. Gerade war er als Kind herumgerissen worden, um in die wütenden, roten Gesichtszüge seines Privatlehrers McClanahan zu sehen. Obwohl Burton den Mann nicht hörte, konnte er die Worte von den verzerrten Lippen ablesen. Und plötzlich fielen ihm andere Gelegenheiten ein, bei denen McClanahan ihn mit Schmähungen und Vorhaltungen überhäuft und ihm vorausgesagt hatte, daß er zur Hölle fahren würde, wenn er starb - falls nicht gar schon vorher.
Burton konnte seine eigenen Lippen nicht sehen, aber er schrie: »Dort werde ich Sie treffen!« Sein Blickfeld verschob sich. Er sah jetzt in die andere Richtung, und der Privatlehrer prügelte ihn wieder. Er würde weder schreien noch weinen; er kniff die Lippen starrköpfig zusammen, so daß der Mann nicht merkte, wie weh er ihm tat. Das machte McClanahan noch wütender, und er schlug kräftiger zu. Aber er hatte Angst, es ihm so oft mit der Peitsche zu geben, wie er es gern getan hätte. Obwohl Burtons Vater es guthieß, dem Jungen Gehorsam und die Liebe zum Lernen mit der Rute einzubläuen, billigte er es nicht, wenn man ihn halbtot schlug. Der Privatlehrer wußte, daß das Kind erst schreien würde, wenn es fast tot war, und vielleicht nicht einmal dann.
Burton wandte den Kopf ab und bündelte seine Aufmerksamkeit zu einem Schwert, dessen Spitze über den Worten der Grammatik schwebte. Er beendete zwei Seiten, schloß dann die Augen und stellte sich die Seiten wie einen Film auf der Leinwand seines Verstandes vor. Danach öffnete er die Augen, um die Genauigkeit zu überprüfen. Er lächelte. Sein Gedächtnis war hundertprozentig in Ordnung.
Eine Sprache aus einem Buch zu lernen war ein Schritt in die Richtung, sie zu beherrschen. Aber vielleicht sollte er einen Etrusker wiederbeleben und die lebendige Sprache aufsaugen. Aber - und es gab immer ein Aber - was würde er mit dem Etrusker anfangen, nachdem er mit ihm fertig war?
In diesem Augenblick fiel ihm die Möglichkeit ein, die Erinnerungsaufzeichnungen der Toten in den Computerarchiven zu nutzen. Warum ließ er den Computer nicht einfach Erinnerungen abspulen? Vielleicht konnten die Toten doch reden.
Indem er ein Kodewort benutzte, wies er den Computer an, eine Projektion auf den Boden zu werfen. Er gehorchte, Burton stellte ihm seine Frage. Der Computer erwiderte, die gespeicherten Erinnerungen könnten extrahiert und vorgeführt werden. Einige davon waren allerdings wegen übergeordneter Befehle nicht verfügbar.
Burton schaute auf
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