Die Götter - Ruf der Krieger - Grimbert, P: Götter - Ruf der Krieger - Les Gardiens de Ji, Tome 1: La volonté du démon
Weile auf oder ihre Ausbildung dauerte eben länger. Die eifrigsten Schülerinnen hingegen beendeten das Noviziat nach vier Jahren und wurden Dorfmutter ihres Heimatdorfs oder Ratsfrau im Ständigen Rat von Kaul. Die Ergebnisse waren sehr befriedigend, und die Wirtschaft des Matriarchats florierte.
Vor einem knappen Jahr hatte Lorilis mit dem Noviziat begonnen, ohne sich großartig Gedanken über ihre Zukunft zu machen. Anfangs war sie von verschiedenen Ratsfrauen unterrichtet worden, und nun zog sie mit der hochverehrten Mutter Izaelle von Dorf zu Dorf, um das Land kennenzulernen. Hin und wieder bereute sie ihre Entscheidung, denn Niss und Cael fehlten ihr sehr. Lorilis sah ihre Eltern nur noch ein- bis zweimal pro Mond, wenn ihre Wege sie nach Kaul führten. Manchmal dachte sie, dass sie vielleicht nur Novizin geworden war, um ihnen einen Gefallen zu tun. Ihre ganze Familie hielt das Noviziat für das Beste, was ein junges Mädchen tun konnte. Ihre Großmutter Léti platzte vor Stolz, und selbst ihr Urgroßvater Bowbaq, der im fernen Arkarien lebte, beglückwünschte sie bei jeder Gelegenheit zu ihrer Entscheidung.
Doch es war nicht Lorilis’ Art, sich endlos den Kopf darüber zu zerbrechen, was wäre, wenn sie einen anderen
Weg eingeschlagen hätte. Das Lernen fiel ihr leicht, weil sie nicht auf den Kopf gefallen war und mit wachen Augen durch die Welt ging. Bisher waren ihre Noten immer gut gewesen, und obwohl sie die Vorträge über Mahlwerke und Bewässerungsgräben langweilten, war das Noviziat vermutlich die beste Wahl, die sie hatte treffen können, jedenfalls wenn sie im Matriarchat bleiben wollte.
Alle anderen Jungen und Mädchen ihres Alters, die nicht schon als Fischer, Bauern oder Handwerker arbeiteten, gingen in der Hauptstadt zur Schule, die meisten im Großen Haus von Kaul. Da war es Lorilis immer noch lieber, Dekade um Dekade durchs Land zu ziehen. Tag und Nacht in einer muffigen Schule zu verbringen, erschien ihr wenig verlockend – obwohl es vom Großen Haus nicht weit zu ihrem Elternhaus war. Eine weitere Möglichkeit wäre es gewesen, bei einem ihrer Verwandten in die Lehre zu gehen. Aber bei welchem?
Niss, ihre Mutter, war Künstlerin: Sie zeichnete, malte, töpferte und schnitzte Skulpturen aus Holz. Es verging keine Dekade, in der sie nicht ein Kunstwerk schuf, das sie anschließend verschenkte. Sie weigerte sich standhaft, ihre Arbeiten zu verkaufen, obwohl sie damit ein kleines Vermögen hätte machen können. In Kaul gab es zahlreiche wohlhabende Kaufleute und Handwerksmeister, die bereit waren, hohe Summen für ihre Werke zu zahlen, doch Niss bat sie stets, das Geld stattdessen einem Waisenhaus in Lorelia zu spenden. So konnte sie weiterhin ohne Hintergedanken Menschen mit ihren Werken erfreuen.
Es war ein faszinierendes Leben, aber Lorilis glaubte nicht, darin ihren Platz finden zu können. Sie war ganz einfach nicht dazu imstande, solch prächtige Gärten zu
malen wie ihre Mutter. Manchmal kam es ihr vor, als bilde Niss eine Welt ab, die niemand außer ihr selbst kannte.
Auch ihr Vater brauchte Lorilis’ Hilfe nicht. Trotz seines jungen Alters – er war erst siebenunddreißig – war Cael bereits ein berühmter Gelehrter. In der Familie hieß es, die Wissbegierde habe er von seinem Vater Yan geerbt und an Lorilis weitergegeben. Doch mit seinem Lerneifer und seiner Neugier konnte sie nicht mithalten. Cael interessierte sich für sämtliche Bereiche der Wissenschaft, vor allem aber für Astronomie, Geologie und Geometrie. Manchmal lächelte er geheimnisvoll und behauptete, die Menschen lebten in einem neuen Zeitalter und müssten deshalb die Welt so gründlich wie möglich erforschen. Seine größte Leidenschaft galt der Kartographie. Er hatte sich – mehr oder minder zum Spaß – vorgenommen, den Begriff »die bekannte Welt« durch den Begriff »die Welt« abzulösen. Zu diesem Zweck wollte er eine Landkarte erstellen, in die sämtliche Königreiche und Länder, Flüsse, Gebirge, Wüsten und Meere eingezeichnet waren. Einige Könige und Herrscher, denen sein Vorhaben zu Ohren gekommen war, hatten sich bereiterklärt, seine Expeditionen zu unterstützen. Seit gut zehn Jahren schickte Cael immer wieder Seefahrer aus, deren Berichte seine Forschungen vervollständigten. Ein Ende war nicht in Sicht, und seine Arbeit war gewiss reizvoll, aber wie konnte Lorilis mit ihren vierzehn Jahren ihrem Vater helfen? Gar nicht.
Natürlich hätte sie auch auf dem Gestüt ihrer Großmutter
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