Die Götter - Ruf der Krieger - Grimbert, P: Götter - Ruf der Krieger - Les Gardiens de Ji, Tome 1: La volonté du démon
Guederic grinste ihm ein letztes Mal ins Gesicht, winkte lässig, öffnete die Tür und trat auf den Flur.
»Bis zum nächsten Mal!«, rief er, bevor er die Tür ins Schloss fallen ließ und seinem Bruder damit jedes weitere Wort abschnitt.
Auf der Treppe, die zur Eingangshalle hinabführte, begegnete Guederic einer Grauen Legionärin, deren Gesicht ihm vage bekannt vorkam. Vor ein paar Dekaden hatte sie ihn nach einer Schlägerei im Hafen in Handschellen zu Damián gebracht. Da sie nicht hässlich war und er um seine Wirkung auf Frauen wusste, warf er sein langes Haar zurück und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln.
Sie bedachte ihn mit einem kalten Blick und ging wortlos an ihm vorbei, ohne einen Hehl aus ihrer Verachtung zu machen. Anscheinend hatte auch sie ihn erkannt.
Egal. Eine solche Kleinigkeit konnte Guederic nicht die
Laune verderben. Er war wieder auf freiem Fuß, und das war im Moment alles, was er wollte.
Lorilis wusste immer noch nicht, wie ihr geschah. Noch vor zwei Dezimen hatte sie sich bei der Besichtigung einer Mühle maßlos gelangweilt, und nun stand sie am Ufer eines Flusses, ihre Sachen zu einem Bündel geschnürt, und wartete darauf, dass ein Fremder sie in eine Stadt jenseits der Grenze brachte.
»Alles wird gut«, sagte Izaelle zum wiederholten Male. »Mach dir keine Sorgen, du bist in guten Händen.«
Lorilis nickte, aber die Worte der Ratsfrau, die sie eigentlich beruhigen sollten, bewirkten genau das Gegenteil. Warum machte ihre Lehrerin ein so bekümmertes Gesicht, wenn alles in bester Ordnung war? Lorilis hatte das ungute Gefühl, dass sie ihr etwas verheimlichte, obwohl Izaelle auch nicht mehr wusste als sie selbst: nämlich fast gar nichts.
Die Nachricht, die sie zu der überstürzten Abreise zwang, stammte von ihrem Vater. Nach ihrer Wahl zur Großen Mutter von Kaul hatte Corenn in jedem größeren Dorf einen Taubenschlag einrichten lassen, damit Nachrichten ohne Verzögerung in die Hauptstadt gelangten. Niss und Cael hatten Lorilis auch nur erlaubt, als Novizin durchs Land zu reisen, weil sie auf diese Weise jederzeit mit ihr in Verbindung treten konnten. Damit ihre Eltern immer wussten, wo sie sich gerade befand, schickte Izaelle jedes Mal, wenn sie in einem neuen Dorf ankamen, eine Brieftaube. Bis heute hatten sie noch nie eine Antwort erhalten.
In der Nachricht, die nur aus wenigen Zeilen bestand, bat Cael Ratsfrau Izaelle, Lorilis nach Benelia zu schicken, wo sie in Empfang genommen und in Sicherheit gebracht werden würde. Mehr stand nicht auf dem Zettel. Die wenigen Zeilen stellten Lorilis’ Leben auf den Kopf, beantworteten jedoch keine ihrer Fragen. Was war passiert? Warum schickte ihr Vater sie nach Benelia? Wer erwartete sie dort? Und wo waren Niss und Cael?
Vor etwa einem Jahr hatten ihre Eltern sie und ihre Lehrerinnen zu einem Gespräch gebeten. Sie hatten ihnen eröffnet, dass Lorilis eines Tages in Gefahr geraten könnte, schließlich war sie die Urenkelin der Großen Mutter von Kaul, und jemand könnte versuchen, sie zu entführen oder ihr gar etwas anzutun. Damals war Lorilis die Sache völlig unwirklich vorgekommen, wie eine Abenteuergeschichte. Bis heute hatte sie sich nie bedroht gefühlt, aber jetzt war alles anders. Schwebte sie tatsächlich in Lebensgefahr? Und wenn ja, wer hatte es auf sie abgesehen?
Sie konnte noch so sehr versuchen, ruhig zu bleiben, das mulmige Gefühl wollte einfach nicht verschwinden. Die Vorstellung, jemand könnte ihr, ihren Eltern oder Großeltern etwas antun wollen, schnürte ihr die Kehle zu.
In diesem Moment näherte sich das Ruderboot, das sie fortbringen sollte, und sie kniff argwöhnisch die Augen zusammen.
»Das ist der Bruder des Müllers, dessen Mühle wir heute besichtigt haben«, erklärte Izaelle hastig. »Ihr rudert bis zur Gisle und dann weiter den Fluss hinab. Ihr müsstest Benelia noch vor dem Abend erreichen.«
Der Mann nickte bloß, und Lorilis musterte ihn skeptisch. Warum sagte er nichts? So jemand konnte nichts
Gutes im Schilde führen! Außerdem war das Boot viel zu klein für eine so weite Reise, und der Alte konnte die Ruder benutzen, um sie niederzuschlagen. Lag in seinem stummen Lächeln nicht eine mörderische Absicht? Doch schon im nächsten Moment kamen ihr diese Gedanken lächerlich vor. Sicher wollte der Mann ihr nur helfen.
Zögernd setzte sie einen Fuß ins Boot. Es schwankte und begann heftig zu schaukeln, als sie ganz an Bord kletterte. Lorilis empfand das als böses Omen: Von nun
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