Die Götter - Ruf der Krieger - Grimbert, P: Götter - Ruf der Krieger - Les Gardiens de Ji, Tome 1: La volonté du démon
stellte der Junge die Lampe ab, legte seinen Wanderstock beiseite und hob die Lowa auf, die ihm vor die Füße geschlittert war. Langsam ging er auf Guederic zu. Aus unerfindlichen Gründen schien sich der Lorelier mit seinem Schicksal abgefunden zu haben. Er
wollte sterben. Das genügte, um Najel, der ohnehin schon von Zweifeln geplagt wurde, von seinem Vorhaben abzubringen.
»Ich kann nicht«, sagte er leise.
»Tu es!«, fuhr ihn Maara an.
Er wagte nicht, seine Schwester anzusehen. War sie sich ihrer Sache wirklich sicher? Ein kaltblütiger Mord gehörte nicht zu den Gewohnheiten der Wallatten und schon gar nicht zu denen der B’ree. Wie konnten sie einen Mann umbringen, der sich ihr ergeben hatte?
»Ich kann nicht«, wiederholte Najel.
Er öffnete die Hand und ließ die Waffe fallen. Maara sprang auf die Füße und packte ihre Lowa, die klirrend auf den Boden aufgeschlagen war. Sie wirbelte zu Guederic herum, zum Kampf bereit. Er aber rührte sich nicht. Er lag einfach da und wartete, dass sie ihm den Gnadenstoß versetzte.
Voller Entsetzen beobachtete Najel die Szene. Seine Schwester hob die Waffe. Dann ließ sie den Arm wieder sinken, biss die Zähne zusammen und holte abermals aus. Doch wieder konnte sie sich nicht dazu durchringen, Guederic den Schädel zu spalten. Es wäre leichter gewesen, wenn er Widerstand geleistet hätte und wenn sie nicht schon zweimal Seite an Seite gegen ihre Feinde gekämpft hätten. Maara sank auf die Knie, brach in Tränen aus und packte Guederic an den Schultern.
»Was hast du meinem Vater angetan?«, fragte sie schluchzend. »Was hast du meinem Vater angetan, dass er uns befiehlt, dich zu töten?«
Guederic blickte sie mit tränenüberströmten Wangen an.
»Ich weiß es nicht«, antwortete er kopfschüttelnd. »Ich weiß es nicht …«
Najel kniete sich neben die beiden und legte ihnen jeweils einen Arm um die Schultern. In diesem Augenblick gaben sie einander ein stummes Versprechen: Sie würden herausfinden, welches Geheimnis ihre Eltern noch vor ihnen verbargen. Gemeinsam.
Josion hatte keine Ahnung, wie lange er schon in der Gewalt des Hexers war, ob eine Dezille oder einen ganzen Tag. Und das hatte einen einfachen Grund: Seine Welt bestand nur noch aus Schmerz.
Josion hatte nicht nur jedes Zeitgefühl verloren, der Schmerz ließ auch Trugbilder vor seinen Augen aufsteigen, die seine geheimsten Sehnsüchte spiegelten. Seine gequälten Sinne gaukelten ihm vor, hinter seinem Peiniger wäre plötzlich eine vertraute Gestalt aufgetaucht, hätte den Hexer mit der Lanze Zaya’nat durchbohrt, und der Mann wäre tot zu Boden gesunken. Der Schmerz schien aus seinem Körper herauszuströmen, aber auch das war natürlich nur eine Illusion. Was sonst?
Gleich darauf kam es ihm vor, als liefe er über den Burghof, dabei konnte er sich doch gar nicht auf den Füßen halten. Und er wurde von jemandem gestützt, von jemandem, dessen Geruch einzigartig war. Seit vier Jahren hatte er diesen Geruch nicht mehr eingeatmet.
»Mutter?«, stammelte er.
Zejabel – oder vielmehr ihr Trugbild – gab keine Antwort. Sie strich ihrem Sohn nur kurz über das Gesicht und führte ihn weiter auf den Wehrturm zu. Josion wurde von
einem heftigen Schwindel erfasst. Plötzlich war er nicht mehr sicher, es tatsächlich mit einer Halluzination zu tun zu haben, und dieser Gedanke brachte die Welt um ihn herum ins Wanken.
»Mutter?«, wiederholte er. »Ist Vater auch hier? Und die anderen?«
Wieder erhielt er keine Antwort. Er hörte nur, wie Zejabel anfing zu weinen.
AHNENTAFEL
DIE WEISEN VON JI UND IHRE ERBEN
KLEINES LEXIKON DER BEKANNTEN WELT
ALIOSS
Der Anführer. Alioss ist der Gott der Familienväter, Klanchefs und Königsgeschlechter Gritehs. Nur Männer der oberen Stände dürfen ihm dienen: Krieger, Priester, Edelmänner und Handwerker. Frauen, Bettlern und Verbrechern ist es verboten, auch nur den Namen des Allmächtigen auszusprechen.
Die Göttin Aliara erfüllt eine ähnliche Rolle für die weiblichen Einwohner Gritehs, auch wenn sie kein so hohes Ansehen genießt. In den Unteren Königreichen muss der König jedem Tempelbau seinen Segen erteilen, und kein König würde je erlauben, dass sich Frauen in einem Tempel versammeln.
ALT
Der Alt ist der größte Fluss der bekannten Welt. Er entspringt in den höchsten Bergen des Rideau, fließt durch Itharien und Romin und mündet schließlich in den Spiegelozean.
Einer goronischen Legende zufolge werden die Toten eines Tages in
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