Die Götter von Freistatt
warf er die Feder auf den Tisch. Das Gesicht vor ihm hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem, das er skizziert hatte!
»Laßt mich in Ruhe!« krächzte er. »Ich kann nicht tun, was Ihr von mir verlangt - ich bringe überhaupt nichts mehr fertig!« Er schüttelte den Kopf und konnte nicht mehr aufhören.
»Trinkt einen Schluck!« Der Fremde stellte die Zinnkanne auf den Tisch zurück.
Lalo griff nach dem jetzt wieder vollen Becher und trank wie ein Verdurstender. Es war ihm nun egal, ob er sich den Wein verdienen konnte oder nicht. Er spürte, wie er wärmend in seinen Magen rann, durch die Adern prickelte und die Welt ausschloß.
»So, jetzt versucht es noch einmal«, forderte der Fremde ihn auf. »Dreht das Papier um, seht mich gut an, dann zeichnet schnell, was Ihr gesehen habt - so schnell Ihr könnt!«
Einen Moment lang betrachtete Lalo die ungewöhnlich feinen Züge des Mannes vor sich, dann beugte er sich über das Papier. Mehrere Minuten konkurrierte das Kratzen der Feder mit dem Lärm in der Gaststube. Er mußte das Glühen dieser Augen festhalten, dieser seltsamen Augen, denn er befürchtete, wenn er wieder hochblickte, würde außer ihnen nichts mehr wie vorher sein.
Aber was machte das schon? Er hatte seine Bezahlung bereits erhalten. Mit der freien Hand griff er nach dem Becher, nahm einen tiefen Schluck, zog noch einen Strich nach, dann schob er die Skizze über den Tisch und lehnte sich zurück.
»Hier - wie Ihr es verlangt habt ...«
»Ja.« Die Lippen des Fremden zuckten. »Alles in allem ganz gut. Wenn ich recht gehört habe, malt Ihr Porträts. Könnt Ihr einen Auftrag übernehmen? Hier ist ein Vorschuß ...« Er griff in die Falten seines Gewands, legte ein glänzendes Goldstück auf den Tisch und verbarg die mißgeformten Finger hastig wieder.
Lalo starrte auf die Münze, griff vorsichtig nach ihr, als befürchte er, sie könne sich bei seiner Berüh rung in Rauch auflösen. Gestärkt durch den Wein gestand er sich nun ein, wie merkwürdig das alles war. Doch das Gold in seiner Hand fühlte sich hart, kühl und schwer an.
Das Lächeln des Fremden erstarrte. Er wich plötzlich aus dem Licht zurück. »Ich muß jetzt gehen«, brummte er.
»Aber der Auftrag!« rief Lalo. »Wen soll ich porträtieren und wo?«
»Der Auftrag ...« Der Mann schien plötzlich Schwierigkeiten mit der Aussprache zu haben. »Wenn Ihr den Mut habt, könnt Ihr gleich kommen ... Werdet Ihr das Haus von Enas Yorl finden?«
Lalo duckte sich unter dem folgenden, wie ein Knurren klingenden Gelächter. Der Zauberer wartete nicht auf eine Antwort. Er hatte den Umhang fest um sich gezogen und schwankte zur Tür. Diesmal war die unter dem Umhang verborgene Gestalt kaum menschenähnlich.
Lalo, der Porträtmaler, stand in der Pyrtanisstraße vor Enas Yorls Haus und fröstelte. Als die Sonne unterging, hatte der Wind aus der Wüste sich stark abgekühlt, obgleich noch grünliches Licht den Himmel erhellte. Einmal hatte Lalo sich zwei Monate lang bemüht, dieses unwirkliche Glühen auf die Lein wand zu bannen.
Die Dächer der Stadt hoben sich in trügerischer Pracht vom Himmel ab, überragt von dem Baugerüst um den Turm des Tempels von Savankala und Sabel -lia. So voreingenommen die Einheimischen gegen den neuen Tempel auch sein mochten, versprach er doch prächtig zu werden. Seufzend fragte Lalo sich, wer wohl den Auftrag für seine Fresken erhalten würde - bestimmt ein namhafter Künstler aus der Hauptstadt. Erneut seufzte er. Wenn er nach Ranke gezogen wäre, könnte möglicherweise er es sein, der hochgeachtet an seinen Geburtsort zurückkehrte.
Doch diese Gedanken lenkten seine Aufmerksamkeit zurück auf das Gebäude vor ihm, dessen Schatten irgendwie dunkler wirkten als die der benachbarten Häuser, und auf die Arbeit, deretwegen er hierhergekommen war.
In den Winkeln seines Gehirns lauerte die Angst wie unvorstellbare Ungeheuer. Seine Knie zitterten. Dutzendmal während seines Weges quer durch die Stadt hatten sie gedroht unter ihm nachzugeben oder sich in die entgegengesetzte Richtung zu wenden. Den Wein mit seinen Nachwirkungen hatte er längst ausgeschwitzt.
Enas Yorl war eine der dunkleren Gestalten Freistatts, obgleich er sich - aus Gründen, die der Zwischenfall im Einhorn eingehend beleuchtet hatte -selten in der Öffentlichkeit sehen ließ. Dem Gerücht nach hatte der Fluch eines Rivalen ihn zu den ständigen Verwandlungen verurteilt. Und daß er dagegen nichts unternehmen konnte, sollte die einzige Grenze
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