Die Götter von Freistatt
die ihn vom Stehlen abgehalten hatte, dachte Lalo bitter, sondern die Furcht, Schande über Gilla und die Kinder zu bringen, und sein zusehends schwindender Glaube an seine künstlerische Berufung.
Er plagte sich auf einen Ellbogen hoch, war im Augenblick jedoch noch zu niedergeschlagen, um sich zu erheben. Gilla rümpfte verärgert die Nase, legte das Kind in die Wiege zurück und ging zum anderen Ende des Raums, der ihnen als Küche, Schlafkammer für die ganze Familie und viel zu selten als Maleratelier diente.
Der dreibeinige Hocker knarrte, als Gilla sich daraufsetzte, einen kleinen Sack auf den Tisch legte und mit übertriebener Genauigkeit Erbsen in eine Schüssel schälte. Die Spätnachmittagssonne fiel durch das Fenster und verlieh dem fleckigen Brokat, der als Hintergrund für Lalos Modelle diente, täuschende Pracht. Die Körbe mit schmutziger Wäsche, die die Frauen der Reichen und Achtbaren (Begriffe, die in Freistatt soviel wie das gleiche bedeuteten) Gilla großmütig zum Waschen und Bügeln überlassen hatten, blieben im Schatten einer Ecke.
Früher einmal hätte Lalo sich über das Spiel von Licht und Schatten gefreut, oder zumindest ironisch über die Beziehung zwischen Illusion und Wirklichkeit nachgedacht. Doch jetzt war er zu vertraut mit der Armut, die die Schatten verbargen - mit der niederdrückenden Wahrheit hinter all seinen Phantastereien. Der einzige Ort, wo er jetzt noch angenehme Visionen sah, war der Grund eines Weinbechers.
Steif stand er auf und wischte sich, ohne daß es etwas nutzte, über die blaue Farbe, die durch seinen Sturz neue Flecken auf den alten seines Kittels verursacht hatte. Er wußte, daß er die Töpfe aufrichten sollte, aus denen immer noch Farbe auf den Boden rann, aber warum sollte er sparsam mit ihr umgehen, wenn doch niemand seine Bilder kaufen wollte?
Inzwischen würden die Stammgäste sich im Wilden Einhorn einfinden. Niemanden dort würde seine fleckige Kleidung stören.
Gilla blickte auf, als er zur Tür ging. Die Sonnenstrahlen brachten das frühere Gold in ihr ergrauendes Haar zurück. Sie sagte nichts. Früher wäre sie herbeigerannt, um ihren Mann zum Abschied zu küssen, oder sie hätte ihn ausgescholten, damit er zu Hause blieb. Noch auf der Treppe hörte Lalo das Aufprallen der Erbsen, die Gilla heftig in die mit Sprüngen durchzogene Steingutschüssel warf.
Lalo schüttelte den Kopf und trank einen weiteren Schluck Wein, doch behutsam, da der Becher schon fast leer war. »Sie war wunderschön ...«, sagte er traurig. »Könnt Ihr Euch vorstellen, daß sie wie Eshi war, die den Frühling zurück auf die Welt bringt?« Er blickte benommen durch das Dämmerlicht des Wilden Einhorns auf Cappen Varra und versuchte, dem Spielmann das nur noch schwach erinnerte Bild der goldhaarigen Maid zu beschreiben, der er vor nun fast zwanzig Jahren den Hof gemacht hatte.
Doch richtig erinnerte er sich nur an die Verachtung in Gillas grauen Augen, als sie ihn heute nachmittag angefunkelt hatte. Sie hatte recht. Er war verachtenswert - der Wein hatte seinen Bauch aufgeschwemmt, sein rötliches Haar war schütter, und die Versprechen, die er ihr einmal machte, waren so leer wie sein Beutel.
Cappen Varra legte den dunklen Kopf zurück und lachte. Lalo sah das Schimmern seiner weißen Zähne im flackernden Lampenlicht, das Glänzen des Silberamuletts an seinem Hals, und den wohlgeformten Kopf, der sich vom Halbdunkel der Wirtsstube abhob. Andere Gäste blickten auf ihn, als er lachte, wandten sich jedoch gleich wieder ihren eigenen, vielleicht finsteren Geschäften zu.
»Nichts liegt mir ferner, als mit einem zu streiten, der Künstler ist wie ich«, sagte Cappen Varra, »aber, verzeiht, Eure Frau erinnert mich an ein Nashorn. Wißt Ihr noch, wie Ihr bezahlt wurdet, nachdem Ihr Meister Reglis Eingangshalle verschönert hattet, und wir zum Feiern in die Grüne Traube gingen? Ich sah sie, als sie Euch dort suchte ... Jetzt weiß ich auch, weshalb Ihr hierher zum Trinken kommt!«
Der Spielmann lachte wieder. In plötzlichem Ärger funkelte Lalo ihn an.
»Könnt Ihr es Euch leisten, Euch über mich lustig zu machen? Noch seid Ihr jung. Ihr glaubt, es spielt keine Rolle, daß Ihr Eure Lieder dem Geschmack dieses Abschaums hier anpaßt, weil Ihr die wahre Poesie in Eurem Herzen tragt mit den Gesichtern der schönen Damen, für die Ihr sie schriebt! Nicht nur einmal habt Ihr Eure Laute um Brot versetzt. Wenn Ihr in meinem Alter seid, werdet Ihr sie dann für einen
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