Die Götter von Freistatt
Becher Wein verkaufen und weinend herumsitzen, weil die Träume noch in Eurem Herzen leben, Ihr sie jedoch nicht mehr in Wort und Ton verwandeln könnt!«
Lalo griff blindlings nach seinem Becher, leerte ihn und stellte ihn heftig auf die zerkratzte und fleckige Tischplatte zurück. Auch Cappen Varra trank, und im Augenblick war das Lachen aus seinen blauen Augen geschwunden.
»Lalo, Ihr seid heute nicht die richtige Gesellschaft für einen fröhlichen Zecher«, sagte der Minnesänger schließlich. »Ich werde so voll Weltschmerz sein wie Ihr, wenn ich hierbleibe!« Er stand auf, schlang sich die Laute um die Schulter und zupfte seinen Umhang zurecht. »Die Esmeralda ist aus Ilsig zurück und liegt im Hafen. Ich werde sehen, welche Neuigkeiten sie mitgebracht hat. Gute Nacht, Meister Maler - ich wünsche Euch Spaß mit Eurer Philosophie ...«
Lalo blieb, wo er war. Eigentlich sollte er ja auch gehen, aber wohin? Zu Hause würde er Gilla nicht in die Augen blicken können. Geistesabwesend begann er auf dem Tisch zu zeichnen, den farbenfleckigen Zeigefinger tauchte er in verschütteten Wein. Seine Gedanken beschäftigten sich weiter mit der Vergangenheit. Er erinnerte sich, wie er und Gilla brav die Goldstücke sparten, die sie von Freistatt fortbringen würden. Wie sie geplant hatten, was sie mit dem Reichtum tun würden, der nicht ausbleiben konnte, sobald die Herren von Ranke erst sein Talent erkannten und sich an den Bildern ätherischer Schönheit erfreuten, von denen er geträumt hatte sie zu erschaffen, sobald er sich keine Sorgen mehr um das tägliche Brot machen mußte. Doch statt dessen war ihr erstes Kind gekommen.
Er blickte auf die Tischplatte und sah, daß sein Finger unbewußt das feine Profil des Mädchens gezeichnet hatte, das Gilla vor so langer Zeit gewesen war. Wild ließ er die Faust hinabsausen, daß die Linien in den Weinspritzern verschwanden. Stöhnend vergrub er das Gesicht in den Händen.
»Euer Becher ist leer ...« Die tiefe Stimme schuf Schweigen um ihn.
Lalo seufzte und blickte hoch. »Mein Beutel ebenfalls.«
Breite Schultern verdeckten das Licht der Hängelampe. Als der neue Gast sich umdrehte und den Umhang zurückwarf, glühten seine Augen rot wie die eines Wolfes, den die Fackel eines Bauern in tiefer Nacht überraschte. Hinter ihm sah Lalo den Schankburschen zwischen den dichtbesetzten Tischen herankommen.
»Seid Ihr der Mann, der das Aushängeschild vor der Tür gemalt hat?« erkundigte sich der Fremde. »Ich werde versetzt. Ein Bild für mein Mädchen, damit sie sich an mich erinnert, wäre mir den Preis für eine Kanne Wein wert ...«
»Ja, ist gut«, antwortete Lalo. Der Schankbursche blieb an ihrem Tisch stehen. Der neue Gast bestellte eine Kanne billigen Rotwein. Der Maler holte eine Rolle Zeichenpapier aus seinem Beutel und beschwerte sie mit seinem Becher, damit sie sich nicht wieder zusammenrollte. Der Stöpsel seines Tintenfasses wollte sich nicht herausziehen lassen, die Tinte an ihm war angetrocknet, so plagte er sich eine Weile mit ihm, ehe er die Feder eintauchen konnte.
Schnell zeichnete er die Umrisse der breiten Schultern und des eng am Kopf anliegenden Kraushaars, Dann blickte er für die Einzelheiten hoch. Die Züge des Mannes schienen zu verschwimmen. Lalo blinzelte und fragte sich, ob er vielleicht bereits zuviel getrunken hatte, aber die Leere in seinem Magen schrie nach mehr, und der Schankbursche kehrte auch schon mit dem Wein zurück. Er duckte sich unter einem Wurfmesser und machte einen Bogen um zwei Streithähne, ohne auch nur einen Tropfen zu verschütten.
»Wendet Euch der Lampe zu«, murmelte Lalo. »Wenn ich Euch malen soll, muß ich Euch besser sehen können.« Die glühenden Augen des Mannes blickten ihn unter geschwungenen Brauen an. Der Maler erschauerte und mußte sich zwingen, sich auf die Kopfform zu konzentrieren. Er bemerkte, wie schütter das strähnige Haar über der ausgeprägten Stirn war.
Erneut blinzelnd betrachtete Lalo seine Zeichnung. Wie hatte das Licht ihm nur einen solchen Streich spielen können, daß er das Haar des Mannes so kraus gesehen hatte? Er schraffierte die ursprünglichen Umrisse, daß sie zum dunklen Hintergrund wurden und skizzierte das Profil. Die glühenden Augen brannten geradezu auf ihm. Seine Hand zuckte, und er blickte schnell auf.
Die Nase war nunmehr unförmig, als hätte ein betrunkener Künstler zu fest auf die Nase seiner noch feuchten Tonbüste gedrückt. Lalo starrte sein Modell an, dann
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