Die Götter von Freistatt
gekommen. Und selbst wenn Vashanka sich nicht von ihm abgewandt hatte, während Tempus hilflos auf Kurds Tisch lag, hatte der Gott zumindest nichts unternommen, um ihm zu helfen. (Allerdings war ihm alles, was Kurd von ihm aboder herausgeschnipselt hatte, verhältnismäßig schnell - für menschliche Verhältnisse - neu gewachsen, und die Wunden waren verheilt.) Nein, Vashanka, sein Lehrmeister, hatte sich keineswegs beeilt, ihm zu helfen. Die Geschwindigkeit seiner Heilung stand immer im Verhältnis zu des Gottes momentaner Beziehung zu ihm. Vashankas folgenschwere Ungnade hatte schrecklichen Zorn in Tempus geweckt. Verwünschungen und gemeinste Beleidigungen hallten lautlos hinab von dem Gott zu dem Menschen, und ebenso stumm hoch von ihm, der keine Zunge mehr hatte, um zu schreien. Hanse, der Dieb, der junge Nachtschatten, eine Zufallsbekanntschaft, hatte ihn gerettet, ihn vor endlosen weiteren Martern bewahrt. Nun schuldete er Nachtschatten mehr, als ihm lieb war, und Hanse wußte mehr über Tempus, als selbst dieser ehemalige Abwinder wissen konnte, so daß der Dieb nun betroffen und argwöhnisch den Blick abwandte, wann immer Tempus ihm zufällig im Labyrinth begegnete.
Doch selbst da hatte Tempus noch nicht ganz mit Vashanka gebrochen. In der Hoffnung, den Gott zu versöhnen, hatte er als Vashanka an dem Ritual des Zehntodes und der Begattung Azyunas teilgenommen - doch vergebens. Kurz nachdem er erfuhr, daß seine Schwester Cime wegen heimtückischer Ermordung von Zauberern in ihren Betten verhaftet worden war, hatte er Vashankas Amulett, das er seit undenklicher Zeit getragen hatte, genau von hier aus ins Meer geworfen - es gab keine andere Wahl! Nur soviel konnte man sich von Menschen gefallen lassen, und soviel von Göttern. Wäre Zalbar intelligenter gewesen, hätte ihm Tempus’ Reaktion, obwohl er sie zu unterdrücken versuchte, auffallen und er darüber jubeln müssen - als er ihm meldete, daß die gefürchtete Hexermörderin gefaßt und eingesperrt war, und ihre Brillantnadeln ebenfalls sichergestellt waren.
Unwillkürlich knurrte er, als er an sie dachte, an ihr graudurchzogenes schwarzes Haar, und daran, daß sie nun in Freistatts Sammelverlies schmachtete, wo jeder verseuchte Schänder ihr Gewalt antun konnte, während er sie nicht berühren, ja ihr überhaupt nicht helfen durfte, wollte er nicht Kräfte wecken, die er nicht lenken konnte. Ihre Anwesenheit in Freistatt hatte zu seinem Bruch mit dem Gott geführt; genau wie es zu seinem endlosen Wanderleben als Vashankas Diener und Günstling durch eine Auseinandersetzung mit einem Zauberer um ihretwegen gekommen war. Begäbe er sich ins Verlies, um sie zu befreien, wäre der Gott besänftigt. Aber er hegte nicht den Wunsch, seine Beziehung zu Vashanka, der sich von seinem Diener abgewandt hatte, neu aufleben zu lassen. Wenn Tempus sie von sich aus befreite, würde er die gesamte Zaubererzunft am Hals haben. Er wollte sich jedoch nicht mit den Hexern anlegen. Er hatte Cime davor gewarnt, hier ihrem selbstgewählten Beruf nachzugehen, wo er für Gesetz und Ordnung sorgen mußte!
Bis Kadakithis in demselben Wagen ankam, der noch klebrig war von Winderblut, war Tempus finsterster Laune, finsterer als die eigentümlich runde Wolke, die erstaunlich schnell aus dem Nordosten herbeitrieb.
Kadakithis’ edelgeschnittenes Rankanergesicht war zornig gerötet, so daß seine Haut dunkler wirkte als sein blondes Haar.
»Warum? Bei allen Göttern, was hatte die arme Kreatur dir getan? Du schuldest mir einen Eunuchen und eine Erklärung!« Er tupfte mit seinen lackierten Fingernägeln auf den Bronzerand des Wagens.
»Ich habe mir bereits Gedanken über einen weit zufriedenstellenderen Ersatz gemacht, mein Lord.«
Tempus lächelte. »Und weshalb? Nun, alle Eunuchen sind doppelzüngig. Dieser war ein Spitzel Jubals. Ich dachte, Ihr wolltet nicht, daß der Sklavenhändler so gut wie hinter den Elfenbeinschirmen steht und all Eure Gespräche mitanhört, deshalb habe ich laut mei ner Befugnisse als Palastsicherheitsoffizier gehandelt. Und da Ihr mir dieses Amt übertragen habt, sorge ich auch dafür, daß Euer Palast sicher sein wird!«
»Hundesohn! Wie kannst du es wagen, auch nur durchblicken zu lassen, daß ich mich bei dir entschuldigen soll? Wann wirst du mich endlich mit der geziemenden Achtung behandeln? Du behauptest, alle Eunuchen seien doppelzüngig, und im gleichen Atemzug kündigst du mir einen neuen an!«
»Ihr habt meine Hochachtung, Prinz.
Weitere Kostenlose Bücher