Die Göttin der kleinen Siege
Es verschafft mir keine Erleichterung. Ich koche für mich allein, stopfe im Stehen alles in mich hinein. Ich esse, esse, esse. Ich würde die Welt auffressen, wenn sie nicht so schlecht schmecken würde. Und dann würde ich sie wieder ausscheißen. Ich kann mein Herz nicht mehr beruhigen. Meine Gedanken überstürzen sich. Ich bin eine Dampfmaschine. Der Bauch tut mir weh, die Brust, die Gebärmutter. Ich werde mich mit all dieser Wut aufpumpen und davonfliegen, woandershin. Nein, nicht woandershin – ich will in die Vergangenheit fliegen. In die Zeit vor ihm. Wann wird die Erde aufhören, sich um seinen Nabel zu drehen? Und was bin ich? Sein Kindermädchen? Diejenige, die ihm den Arsch abwischt? Ein hinderliches Möbelstück, das er nicht wegzuwerfen wagt? All die Jahre hindurch habe ich seine Ängste weggefegt. Dann dachte ich, dieses Haus sei endlich eine Verheißung von Glück. Nur um mir am Ende anhören zu müssen, dass ich an allem schuld bin. Das ist der Gipfel! Ich bin so wütend wie nie zuvor. Mein Leben ist eine riesige Verschwendung. Mein einziger Fehler war, zu dumm gewesen zu sein. Er massiert sich den Magen. Bei wem will er denn noch Mitleid erregen? Soll er sich doch wieder in sein Schneckenhaus zurückziehen und die Tür hinter sich zumachen! Er hat Schmerzen? Immer tut ihm irgendwas weh! Warum sollte ich mir deswegen einen Kopf machen? Er hat zu oft den Teufel an die Wand gemalt. Wenn er wüsste, was ich von ihm halte! Ein weinerlicher Bub! Ich hatte nicht darum gebeten, seine Mutter zu sein, seine scheiß „liebe Mama“. Ich will einen Mann, einen richtigen Mann! Einen, der keine Migräne hat. Was, ich bin ein Schreihals? Aber klar! Ich muss ja die Stille füllen. Er schweigt. Er schläft vor dem Fernseher ein. Er geht mit Papi Albert spazieren. Angeblich arbeitet er. Also schreie ich eben. Was soll ich denn sonst tun? Ich kotze meine Wut aus. Was ist aus uns geworden? Wer ist diese fette, brüllende Frau? Warum schreit sie dieses Knochengestell denn so an? Doktor Rampona hat gesagt, ich soll ihn in Ruhe lassen. Ist mir doch egal, ob er ein Freund von Einstein ist! Zwanzig Jahre höre ich mir nun schon an, wie er vor all diesen Scharlatanen herumflennt! Und jetzt soll ich an seinem Magengeschwür schuld sein? Er kann sich seine Eingeweide auch ganz ohne meine Hilfe aushöhlen! Dass ich ihn bemuttere, damit kann niemand mehr rechnen. Soll er doch ins Krankenhaus gehen, dann habe ich Ferien. Ich bin eine alte Frau mit einem unfruchtbaren Bauch. Ich habe nicht mehr die Kraft, ihn wie ein Kind zu behandeln, das er mir versagt hat. Er hat mich in sein Exil mitgeschleift, weil er nicht den Mumm hatte, allein zu leben. Immer hieß es „Morgen“ und „Bald“. Ha, und jetzt bin ich fünfzig. Es ist zu spät. Und dann würde man mich gern zum Verstummen bringen. Inmitten all dieser großen Männer und ihrer frigiden Spießerinnen bin ich ein Nichts, ein kleines Frauchen. Ich habe nie gesellschaftlichen Umgang. Ich habe gewartet, bis er sich nicht mehr geschämt hat, mich seiner Mutter vorzustellen. Ich habe auf seine Anfälle gelauert, ich habe ihn aus der Irrenanstalt herausgeholt, ich habe ihn schnell-schnell geheiratet. Ich habe mein Leben mit Warten vergeudet. Meine Ausdrucksweise findet er „unangemessen“. Davon habe ich noch reichlich, von Unangemessenheit! Außer seinem Mathe-Dreck versteht er doch nichts. Aus seinen bescheuerten Notizbüchern werde ich Konfetti machen! Und mit dem Konfetti werde ich sein nächstes Delirium feiern. Er hat Angst vor mir. Ich hindere ihn am Arbeiten. Gibt es für ihn denn auch noch etwas anderes von Bedeutung? Die Welt schert sich doch keinen Deut um sein Gekritzel! Sogar seine Freunde lachen hinter seinem Rücken über sein rotierendes All. Dieser Mann ist ein verfluchtes Schwarzes Loch, ein Monster, das alles Licht der Welt in sich einsaugt. Das würde ihnen das Maul stopfen, all diesen Herren, wenn sie mich so reden hörten! Die kleine Tänzerin hat nebenbei ein paar Dinge gelernt. Als hätte ich zwanzig Jahre mit ihm zusammenleben können, ohne je etwas zu begreifen. Zwanzig Jahre lang habe ich um die Brosamen seiner erlauchten Aufmerksamkeit gebettelt. Mit seinen Wahnvorstellungen habe ich nichts mehr zu tun. Nein, keiner folgt ihm, keiner glaubt ihm, keiner interessiert sich mehr für ihn. Kurt Gödel ist ein Has-been , der mich lebendig mit sich begräbt. Ich war die Wächterin eines Idols. Geworden bin ich die Wärterin eines Verrückten. Ja, eines
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