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Die Göttin der kleinen Siege

Die Göttin der kleinen Siege

Titel: Die Göttin der kleinen Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yannick Grannec
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Hüfte …“
    Anna hob den Kopf, der Schaum brannte ihr in den Augen.
    Als sie wieder ins Zimmer kam, wartete die Friseurin mit Kamm und Schere in der Hand hinter dem einzigen Stuhl. Anna setzte sich mit unverhohlener Beklommenheit.
    „Und was kommt als Nächstes? Ein Schminkkurs? Halten Sie mich für ein Spielzeug?“
    Sie schrie auf – ihre Foltermagd fuhr ihr grob mit dem Kamm durchs Haar, während Adele die beiden mit einem breiten Lächeln der Genugtuung anblickte.
    „Sie sind wie so ein Püppchen, das heult, wenn man es an den Haaren zieht.“
    Diese Ersatzbabys aus Plastik hatte Anna nie ausstehen können. Sie hatte lieber mit Leos Meccano -Baukästen gespielt, auch wenn ihr Freund damit sehr viel geschickter umgegangen war als sie. Trotzdem hatte ihr jedes Weihnachtsfest einen enttäuschenden Posten Puppen beschert. Anna hatte sie ausgezogen, angemalt und dann einfach in den Mistkübel geworfen. Rachel hatte sie zu einem Psychologen geschleppt, aus Furcht, dass ihre Tochter sich mit ihrer Weiblichkeit unwohl fühlte. Der Therapeut hatte gelächelt und der Mutter geraten, das künstlerische Talent der Kleinen zu fördern.
    „Ihr Haar ist ja wie Stroh! Ich hätte in der Küche Öl holen sollen.“
    „Damit wir uns richtig verstehen – Sie schneiden lediglich die Spitzen!“
    Gladys drückte unvermittelt ihren Kopf hinunter und begann trällernd mit der Arbeit. Anna sah den Haufen Haare an ihren Füßen schnell wachsen.
    „Keine Sorge, ich bin vom Fach. Ich weiß, was Männern gefällt. Wollen wir ein wenig Radio hören?“
    Gladys tänzelte mit klappernder Schere zur Musik. Ein Schwall Blechbläser füllte unpassenderweise den Raum. Anna schauderte, als sie spürte, wie die bewaffnete Haarkünstlerin sich hinter ihr in den Hüften wiegte.
    „Gefällt Ihnen James Brown, Adele?“
    „Ich liebe ihn. Warum?“
    „Ich dachte, Sie ständen eher auf Perry Como.“
    Als die kleine Alte den Namen des alten Crooners hörte, geriet sie ganz aus dem Häuschen, ihre Werkzeuge beschrieben gefährliche Bahnen. „Kommen Sie mir nicht mit Perry Como!“ Anna zwang sich, nicht an ihr Haar zu denken. „Diese Musik erinnert mich an Louis – einen schönen Mischling aus Louisiana …“ Adele fiel Gladys heftig ins Wort. Sie wollte zwar Gladys’ Dienste nutzen, dabei aber nicht deren Geschwafel ertragen. Ohne wütend zu werden, schluckte die alte Dame ihre Erinnerungen hinunter. Die Witwe Gödel wusste sich Respekt zu verschaffen – weniger dank ihrer ausgefüllten Vergangenheit als vielmehr durch ihre Durchtriebenheit. Anfangs hatten die Heimbewohner ihr kein Wort über ihre Freundschaft mit Einstein oder Oppenheimer geglaubt. Doch Gladys war dabei gewesen, als der Arzt seine Bewunderung für Kurt Gödel zum Ausdruck gebracht hatte. Seitdem befolgte sie die Spielregeln, die von Adele diktiert wurden. Aber in Pine Run fehlte es ihr sowieso nicht an Ohren, die begierig auf einseitige Konversation waren.
    „Schwatzhaftigkeit ist eine Berufskrankheit. Sie hingegen reden nicht viel, meine Schöne. Sie sind ja ganz angespannt.“
    „Sie zieht die Gesellschaft von Akademikern der von Friseusen vor. Ich habe sie jedoch vor diesen Leuten gewarnt.“
    Anna entspannte ihre Schultern. Sie musste versuchen, sich auf diese beiden alten Schachteln einzustellen.
    „Mehr habe ich nicht zur Hand. Und Akademikerinnen? Haben Sie welche kennengelernt, Adele?“
    „Nur wenige. Es war eine Männerwelt.“
    „Olga Taussky-Todd, Emmy Noether, Marie Curie?“ 23
    „Albert betrachtete sie als Ausnahmetalente. Er hatte dazu einen tollen Spruch: ‚Frau Curie ist sehr intelligent, aber eine Heringseele.‘“
    „Ich mag Hering zum Frühstück.“
    „Das ist uns scheißegal, Gladys.“
    „Einstein war nicht gerade berühmt für seine Milde gegenüber dem weiblichen Geschlecht. Dennoch galt er als überaus menschlich.“
    „Sie verwechseln Menschlichkeit mit Güte, meine Kleine. Ist den Männern nicht eher Habgier, Gewalt und Kleingeistigkeit eigen?“
    Gladys traute sich nicht, etwas zu sagen. Adele drohte ihr mit hochgezogener Augenbraue, bevor sie hinzufügte: „Ich übertreibe. Das war nicht Alberts Wesen, ganz im Gegenteil. Er war ein kleiner Macho, wie man heute sagt. Er hat immer dick aufgetragen, weil er ständig beobachtet wurde. Manche Leute mochten seinen beißenden Humor nicht.“
    „Auch seine Frau muss darunter gelitten haben.“
    „Seine Frauen! Er hat sich von seiner Gefährtin aus schlechten Tagen scheiden lassen

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