Die Göttin der kleinen Siege
Operationen in der Sekunde. Ich zweifelte zwar an der Nützlichkeit dieses Riesenrechenschiebers, war aber gerührt von der Begeisterung der jungen Studentin. Vielleicht würde diese neue Welt den Frauen mehr Raum geben. Doch bis es so weit wäre, würde die legendäre Entropie dieses Logikkalkülmonstrum, das teilweise dem kannibalischen Gehirn von Neumanns entsprungen war, nicht verschonen. Die Ingenieure verbrachten mehr Zeit damit, Teile zu wechseln, als zu rechnen, und Insekten rissen sich darum, bei lebendigem Leib an den Röhren zu verbrennen. 22 Es beruhigte mich immer, zu sehen, dass die Natur diese kostbaren Gehirne auf den Boden der Tatsachen zurückbrachte.
Albert rettete uns vor dem Ernst der Sache, indem er sich vom Tisch erhob und so das Signal zum Aufbruch blies.
„Ich ziehe mich zurück, Freunde, bevor ich mich unter euren mitleidigen Blicken selbst zerstöre. Danke für das schöne Essen, Adele. Ich lasse Sie nun mit all diesem schmutzigen Geschirr allein. Nur die Frauen wagen noch, sich der Entropie zu widersetzen.“
Kurt und ich begleiteten unsere Gäste zur Tür, dann verschwand er schnell. Ich machte ein wenig Ordnung im Haus und genoss die Stille. Bevor ich Kurt kennengelernt hatte, hatte ich mir nie metaphysische Fragen gestellt. Für mich gab es Gott, es gab die Menschen und die tägliche Aufgabe, etwas auf den Teller zu bekommen. Durch all diese Diskussionen konnte ich nun die Weite der Fragen ermessen, die ich mir niemals gestellt hatte. Doch war am Ende das Wesen der Welt komplex oder die Fragestellungen der Menschen, die sie dazu machten? Kurt hatte darauf keine einfache Antwort. Indem ich mich entschlossen hatte, mit ihm zu gehen, hatte ich die Bequemlichkeit der Ignoranz aufgeben müssen. Ich war gewillt, aber nicht fähig dazu. Erst sehr spät habe ich begriffen, dass die Versuchung durch die Metaphysik sich nicht von Religionen, Grenzen, Geschlechtern oder Kulturkreisen abhalten lässt – sie ist allen gegeben; der Luxus, sich daran zu erfreuen, wird jedoch nur wenigen geschenkt.
Doch was waren ihre philosophischen Kapriolen in Anbetracht des Alltags wert? Wenn sie mir überhaupt zugehört hätten, hätte ich ihnen meine Meinung gesagt. Ich kannte den Ablauf der Zeit: in der Aneinanderreihung der einzelnen Stiche eines Saumes, im Geschirrspülen und Aufräumen, im Stapeln von gebügelter Wäsche, im perfekten Backen eines duftenden Kuchens. Wenn man die Hände im Mehl hat, kann einem nichts passieren. Ich liebte den Geruch von Backpulver, den Geruch einer fruchtbaren Ordnung. Und ich glaubte an diese Ordnung, auch wenn ich ihr keinen Sinn verleihen konnte.
Mein Mann hinterfragte die Sterne – aber ich hatte schon ein wohlgeordnetes Universum. Ein ganz kleines, ja, aber es war geschützt und befand sich hier auf dieser Erde. Ich durfte mich allein mit der Entropie herumschlagen. Bestens! Würden die Männer öfter den Besen schwingen, wären sie weniger unglücklich.
37.
Anna zögerte, Adeles Zimmer zu betreten. Die alte Dame war in ein intensives Gespräch mit Gladys vertieft. Die Gestalt im rosa Angorapulli klammerte sich an ihre paillettenbesetzte Kunststofftasche und sah nicht so aus, als wollte sie gehen. Sie hob die Arme, um ihre strohigen Locken zu richten, dabei entblößte sie zwei eklige gelbe Schweißflecken. Anna wandte den Blick ab.
„Wir haben schon auf Sie gewartet. Die Dusche ist ganz sauber, wir haben extra für Sie geputzt.“
Adele deutete auf die winzige Nasszelle, die an ihr Zimmer grenzte. Ohne groß darüber nachdenken zu wollen, nahm Anna das Handtuch und die Zitrone, die man ihr reichte.
„Waschen Sie sich die Haare. Gladys wird Ihnen einen schönen Schnitt verpassen.“
Entsetzt betrachtete Anna die surrealistische Haarpracht der Frau. Gladys nahm daran keinen Anstoß.
„Keine Angst, ich habe über dreißig Jahre lang einen Friseursalon geführt.“
Mit einer melodramatischen Geste griff Adele sich an die Brust.
„Versuchen Sie erst gar nicht zu widersprechen, oder ich bekomme einen Anfall!“
Seufzend gehorchte Anna. Sie kniete sich vor die Plastikduschwanne und wunderte sich über ihre Passivität. „Wie weit willst du eigentlich noch für diesen verfluchten Nachlass gehen?“, fragte sie sich, aber so gestellt, klang die Frage falsch. Sie hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn Gladys kam ins Bad.
„Die Zitrone ist für die Spülung. Ich hätte Ihnen gern selbst die Haare gewaschen, aber Sie wissen ja – meine
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