Die Göttin der kleinen Siege
bestimmte Vorstellung als triftiger zu qualifizieren als eine andere?“
„Ich halte mich an mein Gebiet, Herr Jessup. Ich bin empfänglich für eine bestimmte Form der Schönheit – die mathematische Eleganz.“
„Das ist eine sehr subjektive Sichtweise und für Nicht-Mathematiker völlig unergründlich.“
„Dessen bin ich mir gar nicht so sicher, Robert. Jeder Mensch hat eine angeborene Sensibilität für die Einfachheit, die Vollkommenheit. Die Eindeutigkeit. Der Wunsch, das Immanente zu berühren, ist universell.“
Theolonius rutschte vor Genugtuung auf seinem Stuhl herum.
„Wundervoll, wie alles Gestalt annimmt, nicht wahr? Eine Erforschung der Schwingungsfelder ohne eine Hierarchie zwischen Naturwissenschaften und Seelenwissenschaften, die nach einer einzigartigen Erkenntnis strebt. Das letzte quantische Abendmahl!“
Oppenheimer drückte ihm seine Zigarette vor der Nase aus.
„Die Quantenmechanik untersucht physikalische Phänomene im atomaren und subatomaren Bereich. Punkt. Es kann sein, dass Pauli und Jung Entsprechungen zwischen der Physik und der Psychologie festgestellt haben – von einer Gleichrangigkeit beider Disziplinen haben sie jedoch nie gesprochen. Meistens geht es um semantische Punkte, nicht um substanzielle Verbindungen. Aber ich kann verstehen, dass es sehr verlockend sein kann, unsere Terminologie zu benutzen, um Zaungäste zu beeindrucken.“
„Stellen Sie das Prinzip der Synchronizität infrage?“
„Versuchen Sie nicht, ein subjektives Phänomen zum Postulat zu erheben und schon gar nicht zu einem wissenschaftlichen Satz! Ein Kausalzusammenhang zwischen zwei persönlichen Erfahrungen ist und bleibt ein Zufall, auch wenn die jeweils eigene Resonanz, die dieser Zufall im Unterbewusstsein eines Individuums auslösen kann, unbestreitbar ist.“
„Diese Resonanz ist der absolute Beweis für die Existenz des Immanenten! Das Bedürfnis, das uns dazu treibt, einen Sinn in einem Ereignis zu suchen, setzt stillschweigend die Präexistenz dieses Sinnes voraus. Warum hätte uns die Natur sonst die Fähigkeit geschenkt, alles zu hinterfragen?“
„Der Begriff ‚absoluter Beweis‘ ist unpassend. Sprechen Sie übrigens von ‚Natur‘ oder von ‚Kultur‘? Warum sollten wir uns denn irgendwo einen Sinn erhoffen, wo es keinen gibt? Die Menschheit wäre nicht zum ersten Mal auf einer vergeblichen Suche.“
„Gott hat der Welt ein Maximum an Sinn verliehen, er hat denselben Ereignissen multiple Werte gegeben, eine Funktion auf einer Vielzahl von Ebenen.“
„Wenn Sie Gott ins Gespräch mit einbeziehen, haben wir uns nichts mehr zu sagen, Gödel.“
„Ich habe Sie schon spiritueller erlebt, Robert. Wohin haben Sie denn Ihre Mahabharata geräumt?“
„Manchmal bin ich diesen Ideen gegenüber misstrauisch, denn sie öffnen der Scharlatanerie Tür und Tor. Die verzweifelte Sinnsuche, die bei allen Menschen virulent ist, macht aus manchen Leuten leichte Beute. Es ist ein kleiner Schritt von der Synchronizität zu sinnbehaftetem Zufall zu Vorahnungen zu Medien …“
„Dann halten Sie mich also für einen Scharlatan, Herr Oppenheimer?“
„Auch ich kümmere mich nicht um Etiketten. Bestenfalls stellen Sie sich dort, wo andere eine schöne Antwort mit Geschenkband erwarten, eine spirituelle Pforte vor. Wenn ich mich recht entsinne, gibt es sogar das entsprechende Krankheitsbild dazu: Apophänie – die Neigung, in zufälligen Gegebenheiten scheinbare Zeichen und Muster zu erkennen.“
Charles sah seine Felle davonschwimmen, er flüchtete sich in die Ironie.
„Apophänie ist ein natürliches Verhalten. Wir verzerren die Realität, um sie mit unserer eigenen Sicht der Welt in Einklang zu bringen. Ich kenne eine Expertin auf diesem Gebiet. Meine Frau!“
Beate packte ihren Mann am Hals und tat so, als wollte sie ihn erwürgen. Kurz hatte ich geglaubt, Charles hätte auf Kurt angespielt, denn auf diesem Gebiet war er der Meister aller Meister. Immer musste ich mir anhören, wie er seine Sandburgen baute und dabei bedeutungslose alltägliche Kleinigkeiten mit großen Prinzipien kreuzte. Er schuf sich eine Welt nach seinem Bild, sie war zugleich mächtig und schwach, logisch und absurd.
„Bevor mich meine Beate wirklich noch umbringt, muss ich Ihnen in jedem Fall noch widersprechen, Robert. Die Psychoanalyse verkauft keine hübschen Antworten, sie schenkt ganz im Gegenteil massive Fragen.“
„Sie schenkt gar nichts, mein Freund, Ihre Sitzungen sind keine kostenlosen
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