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Die Göttin der kleinen Siege

Die Göttin der kleinen Siege

Titel: Die Göttin der kleinen Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yannick Grannec
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Ideal niedergerungen hat!“
    „So einen Unsinn habe ich nie behauptet. Ich habe von den inhärenten Grenzen der Axiomatik gesprochen.“
    „Die Einzelheiten spielen keine Rolle. Sie sind die Hostie für alle Schulmeister. Sie werden Ihren Unvollständigkeitssatz zusammen mit Heisenbergs Unschärferelation in einen Sack stecken, um daraus zu folgern, dass die Wissenschaft nicht alles vermag. Was für ein Glück! Sobald man uns zu Idolen macht, werden wir bezwungen.“
    „Ein guter Vorwand, um nichts zu teilen und unter sich zu bleiben, meine Herren Erwählte! Ich hätte Sie für demokratischer gehalten, Herr Einstein.“
    „Sie haben recht, Adele, niemand sollte vergöttert werden. Dennoch beunruhigt mich die Geistesverwirrung der großen Öffentlichkeit. Schlecht verstandene Wissenschaftsterminologie ist das neue Kirchenlatein. Egal, welches Hirngespinst in einer pseudowissenschaftlichen Sprache formuliert wird, es kommt wie eine Wahrheit daher. Es ist einfach, die Massen zu manipulieren, indem man ihnen falsche Erkenntnisse vorsetzt.“
    Wütend zerknüllte er seine Zeitung.
    „Die Zeiten werden bereits düsterer. Dieser Truman reicht Roosevelt nicht mal bis zum Knöchel!“
    „Ich sehe nicht, wie meine Theoreme berühmt werden sollen. Für Außenstehende beruhen sie auf einer zu komplexen logischen Sprache.“
    „Das Rezept ist dennoch einfach: Verdacht auf Verkürzung, ein Hauch Böswilligkeit. Birgt das Universum unentscheidbare logische Sätze? Ja! Folglich kann das Universum sich selbst nicht denken. Also existiert Gott.“
    „Kann Kurt Gödel sich selbst denken? Nein! Seine Frau muss ihn an die Mittagspause erinnern. Folglich ist Kurt Gödel nicht Gott.“
    Mein Mann hielt sich die Ohren zu.
    „Ich höre euch nicht mehr zu. Ihr redet doch einfach nur daher!“
    An der Kreuzung zur Maxwell Lane bremste ein nagelneuer himmelblauer Ford vor uns ab. Die Fahrerin, eine Frau um die vierzig mit gütigem Gesicht, grüßte Albert Einstein und bot an, ihn mitzunehmen.
    „Sie wissen doch, dass ich lieber zu Fuß gehe, meine liebe Lili. Darf ich Ihnen Adele und Kurt Gödel vorstellen?“
    Sie schenkte uns ein strahlendes, herzliches Lächeln.
    „Alice Loewy Kahler – für meine Freunde Lili. Frau Gödel, Sie sind doch auch Wienerin, nicht wahr? Es wäre uns eine Freude, Sie zum Essen einladen zu dürfen. Ich werde mit Erich darüber sprechen. Bis bald!“
    Mit quietschenden Reifen fuhr sie wieder los. Mit ihrem Charme ohne jede Affektiertheit hatte sie mich erobert. Albert blickte dem Wagen bedauernd nach.
    „Lili ist eine sehr gute Freundin von Margot und mit Erich von Kahler verheiratet. Kennen Sie ihn, Gödel?“
    „Er ist Historiker und Philosoph. Ich bin ihm am Institut begegnet.“
    „Sie würden sich gut mit ihr verstehen, Adele, da bin ich mir sicher. Unsere Familien kennen sich seit Ewigkeiten. Ihr Haus ‚One Evelyn Place‘ ist eine unvermutete intellektuelle Oase, selbst für Princetoner Verhältnisse. Die von Kahlers sind eng mit Hermann Broch befreundet.“ 17
    „Von Kahler? Das sind Leute von oben. In diesen Kreisen fühle ich mich nicht wohl.“
    „Deshalb sehe ich Sie nie bei den Zusammenkünften der Deutschsprachigen. Allerdings sind sie einige der wenigen Freuden in Princeton. Thomas Mann hat letzte Woche einen sehr schönen Vortrag gehalten. Meine kleine Lili ist jedoch alles andere als ein Snob. Sie schätzt meinen Humor sehr, und das will etwas heißen!“
    Ich zog es vor, Herrn Einstein gegenüber meine Skepsis für mich zu behalten. Wegen seiner Aura konnte er gesellschaftliche Barrieren vernachlässigen, für mich jedoch war das etwas anderes. Geld stellte nicht das einzige Hindernis dar – die Schranke der Kultiviertheit war für mich unüberwindlich. Wie ich später erfuhr, war Lili die Tochter eines großen österreichischen Kunstsammlers. Die Nazis hatten ihn ausbluten lassen, damit seine Familie emigrieren durfte, er selbst aber hatte es nicht rechtzeitig geschafft. Erich selbst war der Gestapo nur knapp entkommen. Er hatte sein Haus verloren, sein Vermögen, seine deutsche Staatsbürgerschaft. Seine Bücher waren auf Hitlers Index gelandet wie auch die von Albert Einstein und dessen teurem Freund Stefan Zweig. Der österreichische Schriftsteller hatte die Situation nicht ertragen und sich 1942 im brasilianischen Exil zusammen mit seiner Frau das Leben genommen.
    Ich las zwar wenig, hatte aber von Thomas Mann und seinem Werk Der Zauberberg gehört. Warum hätte ich mir

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