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Die Göttin der kleinen Siege

Die Göttin der kleinen Siege

Titel: Die Göttin der kleinen Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yannick Grannec
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entdecken. Sie vergewisserte sich – die Plätze waren fast alle leer bis auf ein junges Paar, das sonst wohl keine Möglichkeit hatte, allein zu sein, und eine Reihe junger College-Hühner.
    Still ließ sie den endlosen Vorspann über sich ergehen, ein Luftbild der Tiroler Berge, überall Grün und Glocken, bis dann die ersten ohrenbetäubenden Jodler von Julie Andrews im Dirndl erklangen, die Haare hatte sie kurz geschnitten wie Jeanne d’Arc. Adele trommelte fröhlich auf der Armlehne herum. Anna fragte sich, wie lange sie diesmal durchhalten würde. Diesen Schinken hatte sie noch nie bis zum Ende gesehen, vor der Pause war sie immer eingeschlafen. Sie drehte sich um – die beiden Verliebten waren aufeinander geklettert, die Schülerinnen quasselten und scherten sich nicht um die österreichischen Nonnen in Flügelhauben. Anna tauchte vor lauter Ungeduld wieder in den Popcornbecher. Sie kannte die Geschichte: Fräulein Maria, eine ziemlich ausgelassene Novizin im Kloster, kommt als Gouvernante in die Dienste des Marinekapitäns von Trapp und seiner sieben turbulenten Sprösslinge. Anna lächelte, als sie eine Hand auf der ihren spürte. Adele wäre bestimmt eine gute Mutter gewesen, sie hätte eine ganze Schar kleiner Mathematiker verdient gehabt. Anna selbst wollte keine Kinder, es sei denn, das Leben spielte ihr einen Streich. Vor allem wollte sie keine Tochter. Was hätte sie ihr beibringen können? Ihre Großmutter mütterlicherseits hatte Anna nie kennengelernt, aber was man sich erzählte, reichte aus: eine großbürgerliche Stuttgarterin, die den ganzen Haushalt vom Bett aus terrorisiert hatte, aus dem sie vor Mittag nie aufgestanden war. Anna stellte sich ihre Abstammungslinie wie eine Verschachtelung von Matroschka-Puppen vor, die Frauen ihrer Familie gaben ihre Neurosen von Generation zu Generation weiter. In der Steinzeit musste bereits eine zottige Rachel ihrem verlausten Mann vorgeworfen haben, was für ein erbärmlicher Jäger er war …
    Kapitän von Trapp, gespielt von Christopher Plummer, war trotz der dicken Make-up-Schicht ziemlich attraktiv. Von all diesen alten Beaus auf Zelluloid gefiel ihr George Sanders mit seiner schelmischen Miene am besten. Zwei goldige Kinder, die über die Leinwand tanzten, erinnerten Anna an ihre Ballettstunden, und ganz automatisch setzte sie sich aufrecht hin. Für das Ballettröckchen war Anna nicht geschaffen. Madame Françoise hatte einräumen müssen, dass es keinen Sinn hatte, eine so steife Elevin zu züchtigen, aber ihre Mutter hatte darauf bestanden. Bevor Rachel zugunsten von Schwimmunterricht nachgegeben hatte, hatte Anna sich jahrelang plagen müssen. Unter Wasser jedoch legte einem niemand ein Lexikon auf den Kopf.
    Während Fräulein Maria unermüdlich durch die Straßen eines nachkolorierten Salzburg hüpfte, gab sie den Kindern Musikunterricht, sie brachte ihnen do, re, mi, fa, sol, la, ti, do bei und vereinte sie zum Familienchor. Anna musste zugeben, dass die Melodie trotz der Abgeschmacktheit des Textes mitreißend war. Damit ihr nicht langweilig wurde, konzentrierte sie sich auf die Bildkomposition und war überrascht, darin eine gewisse plastische Schönheit zu entdecken. Ließ sie sich denn derartig erweichen? Ihre Sitznachbarin trällerte hemmungslos mit. Sollte die alte Dame sich über die Wahl des Films freuen, so würde sie es niemals zugeben. Ohne zu murren, ertrug Anna über eine Stunde lang dieses Glück in Technicolor, bis dann der Kapitän das Lied Edelweiß, Edelweiß gurrte – so unbeschreiblich albern, dass sie kichern musste. Auch Adele konnte nicht mehr an sich halten: „Mit Schlagobers haben sie nicht gegeizt! Und diese unmöglichen Frisuren! So hat man sich damals doch nicht gekleidet!“
    Die Gouvernante und Herr von Trapp tanzten Walzer über die Leinwand – zu viel Schmalz, zu viel Edelweiß. Anna schlief ein.
    Als sie mit einem Ruck erwachte, überquerte Familie von Trapp zu Fuß das Gebirge in Richtung Schweiz – wieder hatte Anna den „Anschluss“ verpasst. Adele beobachtete sie lächelnd. Die Wiederkehr dieser schmerzlichen Vergangenheit in Form von Kitsch schien sie nicht im Mindesten zu verstören. „Was gibt es Schöneres, als im Kino zu schlafen?“ Anna unterzog sich übermenschlichen Anstrengungen, um wieder in die Realität zurückzukehren – nun begann der zweite Teil der Prüfung: Adeles Rückkehr ins Heim.
     
    Als sie das County Theater verließen, wurden sie von der Dunkelheit überrascht. Anna sah

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