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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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Grube. Und die Erde bedeckte die Jungfrau und begrub sie unter sich, so daß sie des Todes starb.
    Und die Frauen weinten vor Entsetzen über diese furchtbare Tat und diesen furchtbaren Tod. Viele Monde trauerten sie um die goldene Jungfrau.
    Dann aber öffneten sie die Grube und fanden deren fahle Gebeine und holten sie empor und zerstückelten sie. Und sie nahmen den Schädel und die gebrochenen Knochen der goldene Jungfrau, verstreuten sie über den Boden und bedeckten mit Erde.
    Und siehe, da erstand die goldene Jungfrau neu aus ihrem Schädel. Aus ihren Knochen aber wuchsen goldene Ähren.
    Und die goldene Jungfrau lehrte Menschen, das Korn der Ähren zu sammeln und zu mahlen, Brot aus ihm zu backen, Brei aus ihm zu kochen. Und sie lehrte sie, etwas von dem Korn in der Erde zu begraben, wie sie ihre Gebeine begraben hatten, auf daß neue Ähren aus ihnen wüchsen.
    Dann kehrte die goldene Jungfrau zurück in die Arme ihrer Mutter. Doch diese war niemand anderes als die Große Göttin selbst.
    Von diesem Tag an hatte die Not ein Ende, und die Frauen schnitten die Ähren und mahlten das Getreide, buken das Brot und kochten den Brei, säten das Korn und hegten die Halme. Und der Segen der Großen Göttin war mit ihnen.
    Verstehst du, Wirrkon?«
    Der Kleine lachte, strampelte.
    Da lachte Naki auch, hob ihn auf, drückte ihn an sich. »Ach du! Deine Mutter erzählt dir Geschichten, als wärst du schon ein großer Junge!
    Mir hat sie meine Mutter erzählt, daheim.«
    Sie griff nach einem Halm vom Emmerfeld, bog ihn herab, kitzelte mit den Grannen Wirrkons Wange.
    Er griff danach, lachte noch lauter.
    »Es ist bald reif, das Korn. Dann werden wir es schneiden. Und dann dreschen und worfeln und darren und stoßen und wieder worfeln ...«
    Schwärze um sie.
    Sie stürzte und stürzte, ein Abgrund ohne Ende.
    Plötzlich waren da Messer, scharfe Steinklingen, die in ihr Fleisch schnitten.
    Sie öffnete den Mund, preßte Luft aus ihren Lungen, spannte die Kehle zum Schrei.
    Doch kein Laut kam über ihre Lippen.
    Tiefer und tiefer schnitten die Messer, schnitten äonenlang –
    Ein schwerer Prügel traf sie, schlug ohne Unterlaß auf sie ein, auf ihren Kopf, ihre Arme, ihren Rücken, ihre Beine, ihren Leib, schlug ihr das zerschnittene Fleisch von den Knochen. In blutleeren Fetzen fiel es von ihr ab –
    Sie wurde in die Luft geworfen. Gespenstisch klapperten ihre Knochen. Letzte Fleischreste rieselten herab, Haare, Haut und Sehnen. Sie stürzte auf hartes Geflecht, wurde wieder emporgeschleudert, hin und her, auf und nieder, rasender Schwindel, der Aufprall –
    Glühende Hitze um sie. Bewegungslos lag sie auf sengendem Stein, unfähig, sich zu rühren. Durst quälte sie. Glut brannte sie. Keine Rettung. Sie sah, wie ihre blanken Knochen vertrockneten, verblichen –
    Geschleudert in ein finsteres Loch. Ein Pfahl stieß auf sie hernieder, hob sich, stieß zu, hob sich, stieß zu, hob sich –Zerschmettert ihre Knochen, zermahlen –
    Und wieder emporgeworfen. Schwerelos schwebte sie im Wind, rieselte sanft herab, ein Regen aus zahllosen Knochensplittern, klein wie Körner.
    Sie fiel auf die Erde.
    Weich war die Erde, feucht und kühl.
    Sie spürte Linderung, und ihre Wunden heilten.
    Dunkel und still wurde es um sie. Unaussprechliche Ruhe erfüllte sie. Frieden.
    Da, mit einem Mal, spürte sie die Kraft. Die Kraft, die einen Baum aus einer Eichel wachsen läßt, eine Blume aus einem Samen, Halme aus einem Korn

    Naki starrte. Erst das Weinen von Wirrkon brachte sie zurück.
    Sie drückte ihn an sich, wiegte ihn, küßte sein Gesicht. »Nicht, Wirrkon, nicht weinen! Es ist gut, alles gut.«
    Manchmal kamen sie über sie, diese – ja, was? Welchen Namen sollte sie dem Unbegreiflichen geben?
    Manchmal verstand sie, was sie sah.
    Öfter verstand sie es nicht.
    Wenn sie die alte Priesterin fragen könnte.
    Oder Zirrkan. Zirrkan könnte ihr das alles erklären. Vielleicht ist das nicht einmal nötig, in seiner Gegenwart. Allein wenn er zuhörte, klärten sich viele Dinge von selbst ... Wirrkon weinte lauter.
    Sie lehnte den Rücken an den Baumstamm, öffnete ihren Kittel und nahm Wirrkon an die Brust.
    Sofort begann er zu trinken.
    Sie streichelte sein Köpfchen, freute sich über die Berührung seiner weichen Haare.
    Daß er in ihrem Körper gewachsen war. Und daß ihr Körper alles hatte, was der kleine Wirrkon brauchte zum Leben ...
    Als er satt war, fielen seine Augen zu. Seine Lippen öffneten sich, gaben halb die

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