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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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wäre?
    Ihre Hände taten die Arbeit von allein. Der Erbsenhaufen wurde immer größer.
    Als sie den Korb fast geleert hatte, sah sie einen Mann auf dem Weg aus dem Wald kommen.
    Rasch rückte sie ihren Rock zurecht und befeuchtete ihre Lippen.
    »Naki! Schön, daß du die erste bist, der ich bei meiner Heimkehr begegne!« Irrkru setzte sich neben sie.
    Sie lächelten sich an und schwiegen.
    »Du warst lang weg«, sagte sie schließlich. »Fünf ganze Tage.«
    »Ja.« Er griff nach ihrer Hand. »Aber es war nicht umsonst! Einige der Bauern, die ich aufgesucht habe, denken ähnlich wie wir. Es bewegt sich etwas, Naki. Wir sind nicht mehr allein. Und noch etwas, was ich gehört habe: Beim Königsfest diesen Sommer sollen viel weniger Wolfskrieger anwesend gewesen sein als in den früheren Jahren. Weißt du, was das heißt? Ihre Kräfte sind im Westen gebunden!«
    »Ja.« Sie lehnte den Kopf an seine Schulter. »Hast du dein Feuersteinbeil?«
    »Habe ich. Und noch etwas!« Er faßte in seine Gürteltasche und brachte eine Halskette zum Vorschein. Naki erkannte auf einer Lederschnur aufgefädelt die zierlichen Knochenperlen, an denen er abends des öfteren geschnitzt hatte. In der Mitte der Kette aber, zwischen den weißen Perlen, hing nun ein kleiner honigfarbener Bernsteinanhänger.
    »Für dich«, sagte Irrkru beiläufig. Seine Narbe rötete sich. »Darf ich?«
    Vorsichtig streifte er ihr die Kette über den Kopf. Länger als nötig hielt er seine Hände an ihrem Nacken.
    Sie zuckte zusammen.
    Lykos, seine Hand in ihrem Haar

    Aber es ist Irrkru!
    Sie beugte sich vor und küßte ihn sanft auf seine Narbe. »Danke, Irrkru! Ich freue mich sehr darüber!«
    Er stöhnte leise auf. Dann nahm er sie in die Arme.
    Sie hielt ganz still, lächelte ihm zu, flüsterte seinen Namen, immer und immer wieder.
    Diesmal lass' ich mich küssen, dachte sie, diesmal lass' ich es zu!
    Doch als es soweit war, drehte sie das Gesicht zur Seite. Sie konnte nicht anders.
    Die junge Frau kniete auf einem flachen Stein am Bach, ihr Baby auf den Rücken gebunden, und wusch. Leise sang sie vor sich hin, während sie die Leinenkittel schrubbte und auswrang.
    Haibe, zwischen den Zweigen des Gebüschs verborgen, beobachtete die Wäscherin. Die zur Krone aufgesteckten Zöpfe, das erdfarbene Zackenmuster im hellen Wollrock: die Tracht der Bäuerinnen des Alten Volkes.
    Mit vielen Frauen und Mädchen des Alten Volkes hier im Land der Söhne des Himmels hatte Haibe schon gesprochen. Von manchen war sie voll Mißtrauen abgewiesen worden, von anderen freundlich aufgenommen und gastlich bewirtet. Aber keine hatte ihr je einen Hinweis für ihre Suche nach Naki und den anderen geben können.
    Der Frühling war über dieser Suche dem Sommer gewichen. Längst wußte Haibe nicht mehr, wie viele Nächte sie einsam im Wald verbracht hatte, wie viele Tage gehungert, wie viele Herrenhöfe von ferne beobachtet – stets in der Furcht, entdeckt zu werden –, wie viele Bauerndörfer aufgesucht, wie oft dort um Gastfreundschaft und Hilfe gebeten.
    Endlose Zeit, und noch immer keine Spur. Als habe es die Frauen und Mädchen nie gegeben.
    Dennoch, jedes Mal wieder die Hoffnung: Heute bringe ich etwas in Erfahrung.
    Haibe teilte die Zweige und trat in den Sonnenschein hinaus. Die junge Frau zuckte zusammen, fuhr herum, fluchtbereit.
    »Entschuldige, habe ich dich erschreckt?« fragte Halbe. »Ich will dir nichts Böses!« Sie gab ihrer Stimme den seltsam näselnden und schleppenden Tonfall, in dem die Bäuerinnen und Bauern hier sprachen.
    Die andere beruhigte sich zusehends. »Ach, es hat nichts mit dir zu tun. Man kann nur nie wissen, ob nicht ein Wolfskrieger –«
    Haibe nickte. Mehr als einmal hatte sie gemerkt, daß die Frauen und Mädchen hier in ständiger Angst davor lebten, ein Wolfskrieger könnte über sie herfallen.
    »Es tut mir leid«, sagte sie. »Der Segen der Göttin sei mit dir!«
    Die junge Frau erwiderte: »Und mit dir auch!«
    Haibe ließ sich im Gras nieder. »Stört es dich, wenn ich mich zu dir setze?«
    Die andere zuckte die Schultern: »Warum sollte es!« und beugte sich wieder über ihre Wäsche. Nach einer Weile fügte sie hinzu: »Ich bin sogar froh, nicht allein hier zu sein. Zu zweit fühlt man sich sicherer.«
    Wie furchtbar das sein muß, diese Angst vor Vergewaltigung, dachte Haibe bedrückt. Ach Naki –
    Laut sagte sie: »Ich bin Haibe, und ich komme aus einem Dorf weit im Westen.«
    Mit einem Auflachen erwiderte die andere: »Das

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