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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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ihn wieder einmal zu spüren, übermächtig und wild, diesen Zorn, der alle Bedenken beiseite fegte.
    Fior hatte auf ihn gewartet und war zur Stelle, ehe er im Hof vom Pferd gestiegen war.
    Lykos ging mit raschen Schritten zum Wohnhaus – kein Schwanken mehr –, stieß die Tür auf und entzündete eine Fackel an der Glut.
    Moria lag zur Wand gedreht auf dem Bett und rührte sich nicht.
    Er riß ihr die Decke weg, war über ihr, faßte sie an den Armen, drehte sie herum.
    »Laß mich«, murmelte sie, ohne die Augen zu öffnen. Da schlug er ihr mit dem Handrücken auf den Mund. Sie schrie, starrte ihn aus aufgerissenen Augen an, ihre Lippen waren aufgesprungen, Blut sickerte hervor.
    Blut – die Wut des Wolfes – der Rausch –
    Als er wieder zu sich kam, lag sie weinend in seinen Armen, ihre Tränen netzten die Narben auf seiner Brust.
    Sie war so schmal, so zerbrechlich. Und auch noch schwanger.
    Er hatte sich geschworen, ihr nie so etwas anzutun, nie. Und nun –
    Entsetzen erfaßte ihn vor dem, was geschehen war, vor dem, was sie nun empfinden mochte, vor sich selbst.
    Er suchte nach Worten und fand sie nicht.
    Sie drückte sich an ihn, wimmerte leise.
    Es war, als suche sie Schutz bei ihm – vor ihm!
    Zögernd hob er die Hand, um ihre Schulter zu berühren, wagte es nicht, verharrte mitten in der Bewegung.
    Da begann sie zu sprechen, unter Schluchzen zu stammeln: »Verzeih mir, Lykos, bitte verzeih, ich wußte nicht, was ich tat, ich war so unglücklich, ich, ich wollte dich doch ganz für mich, ich liebe dich doch so sehr, aber bitte, bitte, ich füge mich in alles, es tut mir leid, so leid ...«
    Sie küßte seine Narben mit ihren geschwollenen Lippen. Er traute seinen Sinnen nicht.
    Sie begann ihn zu streicheln, zu umschmeicheln. »Verzeihst du mir?« bettelte sie.
    »Aber ja«, murmelte er hilflos.
    Das verstehe, wer will!
    Lykos wachte auf. Es war noch dunkel, nicht der geringste Schein drang durch die Giebelöffnung.
    Morias Kopf drückte auf seine Schulter. Vorsichtig zog er seinen Arm unter ihr hervor.
    Er lächelte: Es tat gut, sie ganz wiederzuhaben.
    Sie war jedenfalls wieder die alte. Und er – nun, er würde nicht noch einmal den Fehler machen, sich durch allzu viel Rücksichtnahme die Macht über sie entgleiten zu lassen. Er hatte aus dem Vorfall gelernt und die Zügel straffer gezogen.
    Er verscheuchte den Gedanken an Moria: Es gab Wichtigeres zu bedenken. Seine Aufgabe im Dorf, noch vor Sonnenaufgang.
    Dort würde er seine Sinne beisammen brauchen und nicht das leiseste Zeichen von Schwäche durfte ihm unterlaufen...
    Er schlief wieder ein.
    Naki kniete im Schnee. Ein irres Licht tanzte in ihren Augen. Sie lachte.
    Er schlug ihr ins Gesicht.
    Sie lachte.
    Er schlug sie wieder.
    Ihr Lachen wurde immer lauter.
    Auf einmal waren Menschen da, viele Menschen, die Bäuerinnen und Bauern, Hairox und Daios, Rösos und der König, Moria, Temos und Fior.
    Und sie alle lachten.
    Lykos fuhr in die Höhe. Hart schlug sein Herz. Er warf die Felldecke zurück und stand auf.
    Er verließ das Haus, stand im ersten morgendlichen Zwielicht im Hof und zwang sich zu einem prüfenden Blick. Doch plötzlich sah er Naki vor sich, ihr flachsblondes Haar ...
    Und da war es wieder, dieses unbestimmte Gefühl von Verlust.
    Unwillig schüttelte er den Kopf.
    Er hatte geschworen, sie nicht mehr anzurühren.
    Trüge sie nicht sein Kind, er würde sie davonjagen.
    Aber der Gedanke, es könnte ein Sohn sein, den er damit verlöre –
    Er straffte die Schultern, ermahnte sich selbst zur Tatkraft. »Temos! Fior!« rief er laut.
    Die beiden Jungen rannten herbei, rieben sich noch den Schlaf aus den Augen.
    »Bringt mir meinen Hengst! Ihr kommt mit mir!«
    Rechtzeitig vor Sonnenaufgang ritt er aus dem Hof, befahl den Jungen, hinter ihm herzulaufen. Er ließ das Pferd in raschen Trab fallen, warf hin und wieder einen kurzen Blick über die Schulter zurück.
    Die Knaben quälten sich sichtlich, mit ihm Schritt zu halten, vor allem der jüngere Fior. Verächtlich verzog Lykos den Mund: Bald, bei den Prüfungen, würden sie ganz anderes zu leisten haben!
    Am Schwarzmoor stieg er vom Pferd, führte es selbst am Zügel durch das Moor, sorgfältig den Weg beobachtend. Hinter dem Moor stieg er wieder auf und ritt zum Dorf.
     
    Er befahl den Jungen von Hof zu Hof zu rennen und die Dorfbewohner zu verständigen, daß sie sich sofort auf der Wiese einzufinden hätten, alle, selbst die Kranken, vom hinfälligsten Greis bis zum neugeborenen

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