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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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Hungertod preis.
    Bestraft alle für das, was wenige taten. Auch die Kinder. Er geht noch härter vor als Hairox. Noch grausamer. Mein Vater, der oberste Richter.
    Und ich habe geglaubt, er wäre gerecht.
    Ist das deine Gerechtigkeit, Vater?
    Wai wirst du nicht umbringen, Wai und ihre Kinder nicht!
    Sie legte Wai die Hand auf den Arm. »Bis Lykos zurückkehrt, bleibst du erst einmal bei mir. Dann sehen wir weiter. Mach dir keine Sorgen, ich lasse dich nicht im Stich.«
    »Weißt du noch, Wai, wie du mir den Stein gezeigt hast – die Göttin?«
    »Wie könnte ich das vergessen! Es war das letzte Mal, daß
    wir zusammen waren. Hast du den Kiesel noch?«
    »Nein. Erst habe ich ihn behalten. Obwohl ich gefürchtet habe, meine Mutter könnte ihn finden und es dem Vater sagen. Aber als Cythia nicht mehr da war, fing der Stein an, mir in der Tasche zu brennen. Da habe ich ihn in den Bach geworfen. Damals konnte ich nicht anders. Aber jetzt«, Moria zog das Lederbeutelchen aus ihrem Ausschnitt hervor, öffnete es und holte den kleinen Stein heraus, »jetzt habe ich wieder einen Stein. Naki hat ihn mir gegeben, als ich in Kindsnöten war. Und ich glaube«, Moria stockte, »das heißt, ich bin ganz sicher, Sie war da. Sie war bei mir, als ich Ria geboren habe und als die Geburt meines Sohnes mich beinahe das Leben gekostet hätte. Du weißt schon: Sie. Eure Göttin.«
    Wai nickte. »Sie ist immer da, wo ein Kind geboren wird, wenn man Sie ruft.«
    »Ich habe Sie aber nicht gerufen.«
    »Du nicht. Aber Naki. Sie hat dir den Stein gegeben. Sie wird die große Helferin für dich gerufen haben.«
    »Die große Helferin nennst du sie? Ja, das ist wahr.
    Als ich so krank war – es war eine lange Zeit, an die ich mich kaum erinnern kann, nur an eines: an Nakis Hände. Wenn Naki meinen Kopf in ihre Hände nahm, wurden die Schmerzen und das Fieber erträglich. Irgendwie leicht und weit wurde mir dann. Und manchmal kam Sie. Eine dunkle Frau in einem dunklen Gewand. Und alles war gut. Und jetzt ist Naki tot.«
    »Naki tot«, wiederholte die kleine Ria und kletterte Moria auf den Schoß.
    Moria drückte einen Kuß auf das feine Haar der kleinen Tochter. »Ja, mein Liebling, leider. Sie hat dich sehr liebgehabt, die Naki. So lieb, daß sie in ein brennendes Haus gelaufen ist, um dich zu retten.«
    Moria wandte sich wieder Wai zu. »Ich muß immer daran denken. Daß Naki für Ria gestorben ist. Daß sie mich geheilt hat. Und daß ein Zauber in ihren Händen war. Verstehst du, was ich meine?«
    Wai nickte. »Es gibt solche Menschen. Und daß Naki zu ihnen gehört hat, wundert mich nicht. Ihre Mutter hat uns erzählt, sie habe damit gerechnet, daß Naki eines Tages Heilerin oder Priesterin werde.«
    Moria sah die Freundin betroffen an. »Und hier war sie eine Sklavin«, sagte sie leise. »Was für ein grausames Schicksal.« Wai schwieg.
    »Es ist schwer vorstellbar für mich«, begann Moria nach einer Weihe wieder, »daß eure Priester Frauen sind. Bei uns wäre das ganz unvorstellbar.«
     
    Der Vater nahm ihre rechte Hand und legte sie in Lykos' Linke. »So gebe ich dir nun meine geliebte Tochter zur rechtmäßigen Frau – und übertrage meine Gewalt über sie an dich, Lykos! Sei ihr ein guter Herr und Gebieter! Und du, Moria, vergiß niemals: Es gibt nur drei Dinge, die einer Frau anstehen: ihrem Mann dienen, ihrem Mann gehorchen und ihrem Mann Kinder gebären!«
    »Eure Götter sind ja auch Männer!« sagte Wai.
    »Bis auf die Göttin der Morgenröte, die Tochter des Himmelsvaters!« widersprach Moria. »Allerdings ist sie nicht Herrin über Leben und Tod. Aber auch ihr wird nur von den Priestern geopfert. Frauen dürfen das nicht, weil ...« Moria brach ab. Und dann fügte sie zögernd hinzu: »Mein Vater sagt: Frauen sind unrein. Und sie haben keine Heiligkeit.«
    »Unrein?« erwiderte Wai mit Bitterkeit. »Keine Heiligkeit? Warum?!
    Bei uns heißt es: Wir Frauen geben das Leben weiter! In uns wachsen die Kinder heran, wir gebären sie unter Einsatz unseres eigenen Lebens, wir nähren sie mit unserer eigenen Milch, wir ziehen sie groß.
    Und deshalb sollen wir unrein sein?! Ich verstehe euch nicht!«
    Sie hat recht, ich verstehe es auch nicht, dachte Moria.
    Wai sprach weiter: »Als ich meine Kinder bekommen habe, da habe ich immer gedacht, was für ein Wunder das ist. Daß sie in meinem Bauch wachsen. Daß dies das Größte ist, was ein Mensch erleben kann. Mitleid habe ich gehabt mit den Männern, die das nie erleben dürfen. Du

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