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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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entgegengestreckt hatten, die sie in den Kreis aufnahmen, war es ihr nicht mehr nötig erschienen.
    Sie wußte: Von diesen Frauen würde keine sie verraten.
    Inzwischen kam es ihr vor, als habe sie in diesen neun Nächten des Tanzens mehr erlebt als in ihrem ganzen Leben zuvor.
    Furchtbar der Anfang, die Erfahrung: Ich kann nicht tanzen. Die mangelnde Kenntnis der Schritte und Bewegungen war es nicht, die waren rasch abgeschaut, schnell erlernt.
    Zwei Schritte vor und etwas drehn und zwei Schritte zurück und etwas drehn und zwei Schritte vor . . .
    Warum bin ich so steif, die anderen, wie sie sich wiegen, Wai, wie du den Bauch schwingen läßt, ich bin wie ein Brett, steif wie ein Brett, gebunden auf ein Brett, die Arme an den Leib geschnürt, die Beine gefesselt, ich kann mich nicht rühren, Mutter, warum kommst du nicht, mach mich los, es ist finster, die Grube so eng, der Deckel dicht über mir, ich muß den Kopf einziehen, wenn der Vater kommt, was soll ich sagen –
    Angst überflutete sie, würgte sie. Sie riß sich los aus der Runde der anderen, stürzte zur Eiche, drückte sich an deren Stamm, beruhigte sich erst, als sie die unnachgiebige Härte des Holzes spürte.
    Wäre ich an den Baum gebunden, ich müßte nicht tanzen.
    Was ist los mit mir, Mutter, Vater, ich will zu euch.
    Nie hätte ich hierherkommen dürfen, Vater, ich war ungehorsam, ich habe Schläge verdient, aber bitte, bitte nicht die Grube–
    Ihr Schrei bohrte sich durch das Singen der anderen.
    Wai war da, nahm sie in die Arme, wiegte sie. Hände berührten sie, streichelten sie.
    Und plötzlich wurde sie hochgehoben und von zahllosen Händen getragen. Sie schwebte in der Luft, steif vor Entsetzen, Sternenhimmel über ihr, der Gesang begann wieder, das Lied der Großmutter.
    Die Angst verebbte, versickerte.
    Und die Hände begannen sie durch die Luft zu rollen. Schwerelos drehte sie sich um sich selbst. Nach unten: Hände unter ihren Wangen, ihrer Stirn, ihrer Brust, ihrem Bauch, ihren Beinen, dunkle Gesichter zu ihr emporgewandt. Nach oben: Hände unter ihrem Haar, ihrem Rücken, ihren Beinen, Sterne über ihr. Weiter wurde sie gedreht und gerollt, nie fürchtete sie zu fallen, ein Taumel in ihrem Kopf, und plötzlich begriff sie: Die Bänder waren weg, auch das Brett. Sie war frei.
    Seither hatte sie jede Nacht neue Wunder erlebt, neue Welten erkundet.
    Sie war mit den anderen mit bloßen Füßen über einen Teppich von glühender Holzkohle gelaufen und hatte geschrien vor Stolz und Befreiung.
    Sie hatte getanzt.
    Sie hatte im eiskalten Fluß gebadet und ihren Körper gespürt wie nie.
    Sie hatte getanzt.
    Den Kopf in Wais Schoß, war sie in einer tiefrot schimmernden Höhle gewesen, hatte dunkle Zotten vom Höhlengewölbe herabhängen sehen und hatte dem pulsierenden Licht gelauscht, hatte sich selbst liegen sehen, mit angezogenen Beinen auf die Seite gerollt, hatte sich unglaublich wohl und geborgen gefühlt und dabei gewußt: Sie war bei Ihr. Dort, wo sie immer gewesen war, vor aller Zeit.
    Sie hatte getanzt.
    Sie hatte ihre Hände, zu einem Dreieck geformt, um ihren Nabel gehalten und so, das Gesicht zum Sternenhimmel gewandt, der Trommel gelauscht, und plötzlich war eine Kraft in sie gefahren, hatte sie vom Scheitel bis zur Sohle durchschnitten, gebeutelt und geschüttelt hatte es sie, ein violettes Licht war aufgeschienen, und in diesem Licht war Sie zu ihr gekommen, die Große Bärin, hatte sich schützend hinter sie gestellt, hatte sie mit ihrer unendlichen Macht umfangen. Und hatte sie geheilt.
    Sie hatte getanzt.
    Und sie würde immer tanzen. Immer.
    Nie wieder gebunden.
    Im Osten, kaum wahrnehmbar, graute der Morgen. Langsam ging Moria mit Wai auf den Lykoshof zu. Sie spürte nicht die Müdigkeit von neun durchtanzten Nächten. In ihrem Kopf war ein Gleiten und Schweben – als würde man fliegen.
    Noch nie hatte sie sich so weich, so gelöst und so schwerelos gefühlt. Nichts mehr, das sie fesselte, hinabzog.
    Sie summte leise eines der wundersamen Lieder vor sich
    hin, die sie durch diese Nächte begleitet hatten.
    Als sie an den Steg kamen, der über den Graben zum Tor führte, verstummte sie, ging nur noch auf Zehenspitzen. Die Hunde hatten ihren sorgsam bemessenen Anteil an dem Schlaftrunk nach einem von Cythias geheimen Rezepten erhalten. Vor allem aber Owros. Sie hatte den Sud wie an jedem der vergangenen Abende heimlich in den Met gemischt, den Owros sich immer genehmigte – war doch Lykos fern, der verboten hatte, daß

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