Die Göttin im Stein
langsam und widerwillig die Männer arbeiteten, wie wenige Bäume erst gefällt, wie wenige Pfostengruben ausgehoben waren ...
»Owros, sollten so viele Männer nicht mehr zuwege bringen, als bisher geschehen ist?«
»Sie sollten, Herrin, ja. Aber sie tun es nicht. Ich kann nicht überall zugleich sein. Sobald ich den Rücken kehre, arbeiten sie mehr als schlecht.«
»Warum?«
Owros zuckte die Achseln. »Aus Auflehnung oder Erbitterung. Oder aus Schwäche vor Hunger.«
»Hunger?«
»Ihre Dörfer sind schließlich geplündert und zerstört.« Sie drehte sich um, ging.
Das Dorf, in dem sie wohnte, hatte Hairox verschont. Ihr hatte er haufenweise Getreide und Linsen bringen lassen, Leinsamen, Mohn, Erbsen und Bohnen, Lykos' Herden hatte er durch reichlich Vieh vermehrt.
Warum hatte sie sich mit keinem Gedanken darum bekümmert, woher diese Nahrungsmittel und dieses Vieh kamen? Die Vorräte der Bauern. Ihre Lebensgrundlage.
Sie lief und lief. Drei Dörfer für einen Herrenhof.
Das Dorf hinter dem Schwarzmoor. Das Dorf am Lindenwald. Das Dorf an der Heide.
Immer das gleiche Bild. Niedergebrannt. Überall das gleiche Elend.
In der Nähe dürftige Hütten aus Zweigen, Rinde und Schilf, in denen hohlwangige Frauen hausten und Kinder mit aufgetriebenen Bäuchen und viel zu großen Augen. Keine Vorräte.
Geplündert für die Truppe von Hairox. Und für Lykos. Für Lykos? Lykos war nicht da. Sie war es, die da war. Sie war es, die die Vorräte verwaltete.
In jener Nacht hatte sie von Naki geträumt, die ihr eine abgemagerte kleine Ria hinstreckte: Ich kein Milch hab, zuviel Hunger, Wirrkon tot, hatte Naki gesagt, ihr abgezehrtes Gesicht eine stumme Anklage. Danach hatte Moria nicht mehr schlafen können. War von Bildern hungernder Kinder verfolgt worden. Hatte immer wieder nach Ria gesehen, die friedlich schlief, die Wangen rosig und rund. Hatte schweiß-naß im Bett gesessen und erwogen, in die zerstörten Dörfer Lebensmittel bringen zu lassen. Hatte den Gedanken wieder verworfen: Unmöglich, dies zu tun, ohne daß Owros es bemerkte – und an Hairox meldete.
Naki hatte für Ria ihr Leben gelassen, und auch Nakis Sohn hatte es das Leben gekostet. Wenn sie jetzt zögerte, denen zu helfen, die Naki nahestanden, dann war sie das Leben nicht wert, das ihr einst durch Nakis Hände wieder geschenkt worden war.
Doch was sollte sie tun?
Nicht einmal Cythia wagte es, ein Wort dagegen zu sagen, wie Hairox seine Kriegsherrschaft ausübte. Geschweige denn sie zu hintertreiben.
Am Morgen endlich hatte sie gewußt, was sie tun und wie sie es rechtfertigen würde.
Sie versuchte sich in Cythias stolzer Kopfhaltung, Cythias bestimmter Rede: »Owros, ich kann nicht mehr dulden, wie langsam die Arbeit vorangeht. Wenn der Herr vom Krieg zurückkehrt, muß der Hof fertig sein, so hat er es befohlen. Du tust, als hättest du Jahre Zeit! Zweifelst du etwa daran, daß es nicht mehr lange dauern kann, bis unsere Herren und Wolfskrieger diesen Krieg gewonnen haben?«
Er wurde blaß. »Nein, Herrin, gewiß nicht. Aber was soll ich tun! Beinahe täglich peitsche ich schon einen dieser faulen Kerle aus!«
Sie verbarg ihr Entsetzen. »Damit er anschließend noch weniger bei Kräften ist?!« fragte sie verächtlich. »Lykos wird dich dafür zur Rechenschaft ziehen! Sagtest du nicht selbst, sie seien schwach vor Hunger? Und da schwächst du sie noch mehr durch Schläge!«
Er stammelte.
»Hör zu!« befahl sie. Cythia, woher kann ich das, ich wußte nicht, daß es so leicht ist. »Da du nicht fähig bist, Abhilfe zu schaffen, werde ich es tun. Ich weiß ein wirkungsvolleres Mittel als du, die Männer zur Arbeit zu bringen!
Halte sie gut im Auge, achte darauf, wer ordentlich arbeitet. Jeder, mit dessen Leistung du zufrieden sein kannst, bekommt am Abend ein Maß Gerste oder Weizen oder ein
Stück Fleisch für seine Familie. Und daß du mir ja gerecht bist, sonst ist es deine Schuld, wenn der Hof nicht rechtzeitig fertig wird, und das werde ich Lykos sagen!
Im übrigen sorge ich in Zukunft täglich für eine Mahlzeit für die Arbeiter, damit sie zu Kräften kommen!«
Es war ein leichtes gewesen, mit Sahir und Noedia für die ausgehungerten Männer zu kochen. Nichts gegen die Schwierigkeit, jederzeit ein Gastmahl bereithalten zu müssen.
Und eine Freude war es gewesen zu sehen, wie diese Bauern sich selbst auf das einfachste Essen stürzten. Wie sie strahlten, wenn sie ihnen Pökelfleisch und Grütze vorsetzte!
Nicht lange, und
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