Die Göttin im Stein
hinuntergerutscht, Hairox und ich. Unten hatten wir uns einen Laubhaufen aufgeschüttet, es war der größte Spaß, natürlich war es verboten, wir haben es nur getan, wenn Vater bei den Herden war, aber dann hat Noedia es Vater zugetragen, und der hat mich an den Zaun gebunden, halb totgeprügelt und
–
Der Verschlag. Drei Schritte lang, keine zwei Schritte breit.
Das Knarren, wenn die Speichertür sich öffnet.
Nicht wissen: Kommt er, um mich zu begnadigen. Oder um
–
Lykos' Blick hing an dem Speicher, an der Ecke, die den Verschlag barg. Schwer hämmerte sein Herz.
Unwillig zog er die Augenbrauen zusammen. Ich war ein Kind, damals. Das ist längst vorbei, und Schlimmeres habe ich seither ausgehalten.
Er riß den Blick los.
Dort der Windschutz über dem Mahlstein. Wenn es geregnet hat, haben wir uns darunter zusammengekauert, Hairox und ich, er hat damit geprahlt, daß er bald Wolfskrieger würde. Er war viel älter als ich – was habe ich ihn bewundert, ihn, meinen großen Freund!
Meine Schwester mußte manchmal als Strafe Getreide mahlen. Und dann, als Vater die neue Nebenfrau genommen hatte, Kugeni, die junge aus dem Westen geraubte Fremde vom Alten Volk...
Es war ein heißer Spätsommertag. Die Hitze flimmerte über dem Hof. Still und ausgestorben lag er da. Der Vater, die Knechte und Brüder waren bei den Herden, Noedia mit den Mägden im Gemüsegarten, die Mutter bei der Nachbarin. Nur Kugeni kniete dort am Mahlstein, an Händen und Füßen gefesselt und an den Pfosten gebunden.
Kugeni, Vaters neue Nebenfrau. Sie war noch nicht lange am Hof. Und doch ein ganzes neues Leben lang.
Kugeni – was für ein Name, seltsam und wunderbar zugleich. Seltsam und wunderbar wie alles an ihr.
Er spürte ihre Nähe, auch wenn er sie nicht sah. Sie füllte seine Gedanken aus, seine Träume.
Hab ein Auge auf sie, hatte der Vater befohlen, wenn sie unbeobachtet ist, könnte es ihr gelingen, ihre Fesseln zu lösen und wegzulaufen.
Ein Auge auf sie . . .
Wenn der Vater wüßte!
Er ließ sich im Hausschatten nieder und lehnte sich an die Wand. Er schnitzte an einem Pfeil. Aber immer wieder sah er zu Kugeni hinüber.
Nun endlich konnte er sie betrachten, ohne fürchten zu müssen, daß der Vater seinen Blick sah – und verstand. Kugeni mahlte.
Es war grausam vom Vater, sie bei dieser Hitze den ganzen Tag am Mahlstein arbeiten zu lassen, da doch die Schwester jammerte, schon nach einem halben Tag Mahlen fühle man sich wie zerschlagen. Und sie dann auch noch zu fesseln! Und letzte Nacht hatte er sie geschlagen!
Aber so war er, der Vater.
Wenn es nach ihm selbst ginge, dann würde er ihr die Stricke abnehmen, und sie dürfte sich ausruhen, sooft sie wollte.
Auf dem Bett liegen und schlafen, so, wie er sie in jener Nacht im Feuerschein gesehen hatte, als er sich für einen wahnwitzigen Augenblick an ihr Lager geschlichen hatte, halb seitlich auf dem Bauch hatte sie gelegen, ihr einer Arm war herabgesunken, ihr Gesicht unter dem aufgelösten Haar so weich, und ihr Rücken, diese Rundung–
Er würde ihr die Fesseln lösen, mit ihr zum Wassertrog gehen, ihre Füße baden, ihre Beine kühlen, mit beiden Händen Wasser schöpfen und ihr über das erhitzte Gesicht rinnen lassen, zwischen ihre
–
Er
stöhnte. Schloß die Augen. Dann öffnete er sie wieder: Der Vater selbst hatte ihm befohlen, Kugeni zu beobachten.
Mit ihren aneinandergebundenen Händen schöpfte Kugeni Getreidekörner aus dem Vorratsgefäß, streute sie auf den Mahlstein, nahm den kleinen Läuferstein und rieb ihn hin und her. Mit dem ganzen Körper führte sie die Bewegung aus: vor und zurück, vor und zurück.
Ihre offenen Haare fielen nach vorn, sooft sie sich vorbeugte. Haare so hell wie Flachs.
Die Sonne brannte unter dem Windschutz. Schweißperlen glänzten auf ihrer Stirn, auf ihrer Oberlippe. Sie hatte sehr rote Lippen, weich und voll und leicht geöffnet.
Als kleine Rinnsale rann ihr der Schweiß den Hals hinunter, sammelte sich in dem Grübchen am Halsansatz, rann tiefer, rann in den Ausschnitt des Kleides.
Wenn sie sich vorstreckte, gab dieser Ausschnitt den Blick frei auf den Ansatz der Brüste.
Die Sonne brannte so heiß.
Kugeni richtete sich auf, strich sich mit den gefesselten Händen die Haare aus dem Gesicht, den Schweiß von der Stirn. Ihr Blick fiel auf ihn. Sie hatte sehr helle, sehr blaue Augen.
Gleichgültig, stumpf strich ihr Blick über ihn. Doch plötzlich kehrte er zu seinem Gesicht zurück, wurde lebhaft. Ein
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