Die Göttin im Stein
Ria einen Teil der Arbeit abzunehmen und ihr zu helfen, sie bis zum Abend zu beenden.
Sie wußte, sie durfte es nicht. Lykos würde es merken. Und es war Verrat an dem Kind. Wie sollte es je begreifen, in welchen Händen die Macht lag, wem man sich fügen mußte, wenn sie verhinderte, daß es das lernte! Und es war lebensnotwendig, das zu lernen.
Aber er soll sie nicht schlagen!
Bei den Buben muß ich mich damit abfinden, zu denen wird er immer hart sein, um sie auf die Prüfungen der Wolfskrieger vorzubereiten. Aber nicht bei Ria, nicht bei dem Mädchen.
Ich war auch ein Mädchen. Trotzdem hätte mein Vater mich bei einem solchen Vorfall jämmerlich verprügelt, bis aufs Blut.
Da war diese unbestimmte Ahnung. Das, was sie an sich selbst nicht verstand, was sie bei Tag zu vergessen suchte und was bei Nacht über sie kam, in Lykos' Armen, wenn der Betrug, den sie an ihm beging, sie heimsuchte, wenn sie sich schuldig fühlte und vor Entdeckung fürchtete und sich wi
eder erinnerte und sich nach dem sehnte, wovor sie als Kind so sehr Angst gehabt hatte, und nicht eher Erlösung fand, bis Lykos . . .
Die dunkle Seite ihrer Lust.
Nicht mit Ria! Nicht, wenn ich es verhindern kann.
Immer wieder suchte sie nach Worten, Lykos für die Tochter um Gnade zu bitten, ihn anzuflehen, es bei der harten Strafarbeit bewenden zu lassen.
Es war aussichtslos. Alles, was sie erreichen konnte, war, daß er sie selbst harsch zurechtwies und womöglich das Kind um so härter züchtigte. Er war der Vater, und er war im Recht.
Als der Tag sich neigte, war der Korb mit den Haselnüssen noch zu einem Drittel gefüllt. Das Töchterchen kniete am Stein, Tränen liefen seine Wangen hinunter, von seiner Nase tropfte es, verbissen knackte es Nüsse auf, hatte sich die Finger schon blutig geschlagen. Es würde weit in die Nacht brauchen, um diese Arbeit zu Ende zu bringen...
Da wußte sie, was sie tun würde.
Seit der Geburt ihres Kleinsten waren zwei Monde vergangen, schon bald vier Monde hatte Lykos sie nicht mehr angerührt.
Sie rieb sich die Haut mit getrockneten Rosenblättern ab, zog ihr neues Kleid an, das Langonia gewebt und mit einer unvergleichlich schönen Borte verziert hatte, und ließ es wie zufällig am Hals offen, ließ die Kette mit dem schimmernden Bernsteinanhänger zwischen ihre von der Milch prallen Brüste gleiten, befahl Noedia, ihr die Haare zu bürsten und mit dem Kupferschmuck zu einer kunstvollen Frisur aufzustecken, tat alles, um so schön zu sein wie nur möglich. Dann holte sie den Met, richtete als Abendessen mundgerechte Happen, verbannte Sahir und die zweite Nebenfrau an den Webstuhl im kleineren Haus und bat Langonia, sie an diesem Abend mit Lykos allein zu lassen, ihren Jüngsten für sie zu stillen und die beiden größeren Buben zu beaufsichtigen und schlafen zu legen – und hin und wieder nach Ria zu sehen.
Als sie Lykos kommen hörte, ging sie ihm lächelnd mit dem Metbecher entgegen. Sie sah, daß er sich wieder beruhigt hatte. Vielleicht war der Abschied von Eraiox nach seinen Wünschen verlaufen. Trotzdem war sie sicher, daß er wahrmachen würde, was er angedroht hatte. Lykos machte immer wahr, was er sagte.
Lykos nahm den Becher, trank, musterte dabei Moria überrascht und mit deutlichem Vergnügen, griff in ihr Haar und spielte mit ihrem
Ohr.
Sie rieb ihre Wange an seiner Hand. Er lächelte und küßte ihren Scheitel.
Dennoch war das erste, was er sagte: »Wo ist Ria?«
»Im Speicher. Sie knackt Nüsse, wie du es befohlen hast. Sie weint vor Angst.«
»Dazu hat sie auch allen Grund!«
Sie hatte ja gewußt, daß er nicht daran dachte, Gnade walten zu lassen.
Sie entschloß sich, alles zu wagen. »Ich habe so auf dich gewartet«, sagte sie und schlug die Augen verschämt zu ihm auf. »Schade, daß du dir nicht gleich Zeit für mich nehmen kannst.«
Er lachte und umarmte sie. »Na, so lange dauert es nun auch wieder nicht, ein Kind zu bestrafen! Oder hast du nicht so viel Geduld? Himmel, Moria, es ist wirklich zu lange her. Du bist wiederhergestellt, das wolltest du mir doch mitteilen, nicht? Weißt du, daß du unglaublich gut riechst? Übrigens, dein Kleid ist aufgegangen, wie gut, daß ich keine Gäste mitgebracht habe – aber es gefällt mir nicht schlecht . . .«
»Es ist nicht aufgegangen. Ich hab' es aufgemacht«, flüsterte sie ihm ins Ohr.
Er lachte noch einmal. Dann hob er sie hoch und trug sie ins Haus.
Sie liebten sich so heiß wie schon lange nicht mehr. Daß sie sich
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