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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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aller Augen an ihrem Kult teilnehmen. Ich zeige den Bauern, daß nicht ich der hintergangene Herr bin, sondern meine Frauen die ahnungslosen Kinder am langen Gängelband, die von mir in der Furcht vor Entdeckung gehalten und jetzt endlich dazu begnadigt wurden, offen tun zu dürfen, wovon ich schon lange wußte. Ich lasse meine Frauen mit den Bäuerinnen den Frühjahrstanz tanzen.
    Den unbeschreiblichen Greuel der Heiligen Hochzeit aber werde ich ein für allemal unterbinden.
    Morgen schon berufe ich den Königsrat und die Priesterschaft ein. Ich nehme den Kampf auf mich. Ich weiß, ich werd' ihn gewinnen. Meinen Gründen können sie sich nicht entziehen. Vor allem nicht dem einen: Wir werden erlassen, daß jeder, ob er den Kult der Schwarzen Göttin ausübt oder nicht, den Himmlischen die schuldige Verehrung erweisen muß. Und das werden wir durchsetzen. Ein heiliger Eichenhain oder eine heilige Eiche bei jedem Dorf, ein Priester, der hin und wieder dort opfert, die Erzwingung der Teilnahme jedes Dorfbewohners am Opfermahl – das alles läßt sich richten.
    So, Ihr Himmlischen, werden wir Euren Ruhm auch unter dem Alten Volk festigen.
    Und unsere eigene Macht.
    Ich werde in die Lieder eingehen als der König, der das Alte Volk mit den Söhnen des Himmels vereint hat. Der König, der den Kult der Schwarzen Göttin für jeden erlaubt und dennoch die Ehre der Himmlischen erhöht hat. Der König, der das Land geeint und vor dem Abgrund eines Glaubenskrieges gerettet hat. Der König, der dem Alten Volk die Hand zur Versöhnung gereicht und doch die Herrschaft der Söhne des Himmels gefestigt hat.
    Ich werde der König sein, den die Weiber für alle Ewigkeit in ihre Dankgebete einschließen – und der ihnen die Hände wirkungsvoller gebunden hat, als sie es jemals ahnen werden.
    Mag Plitovit nach mir die Herrschaft ausdehnen bis über die Grenzen des Meeres hinaus, mag er jene Bauern verfolgen, besiegen und niederwerfen, die vor uns gen Norden geflohen sind – was kümmert es mich.
    Meinen Namen werden sie von Generation zu Generation preisen.
    Ich werde der König sein, den sie geliebt haben.
    Das ist es, was bleibt.
    »Wie geht es dir, Ria?« Liebevoll besorgt forschte Moria in dem zarten Gesicht ihrer Tochter, suchte nach Spuren von Erschöpfung, Schlaflosigkeit oder Angst und fand nichts als heitere Gelassenheit. Morias Blick glitt weiter Rias Körper hinab, ruhte kurz auf den schwellenden Brüsten und blieb dann an dem hochgesegneten Leib hängen. Er hatte sich gesenkt. Moria kannte die Anzeichen, oft genug hatte sie diese bei sich selbst bemerkt oder bei Langonia und Lykos' Nebenfrauen beobachtet: Die Geburt von Rias Kind stand wenige Tage bevor.
    Das erste Kind – mit welchen Gefahren war dies verbunden. Und wie leicht konnte es Rias Leben kosten ...
    Ria hob den Kopf und lächelte. »Mir geht es gut, Mutter. Mach dir keine Sorgen!«
    Moria holte ihren Beutel hervor und faßte nach dem Stein. Ein letztes Mal schlossen sich ihre Finger darum. Wie oft hatte sie der Kraft dieses Steines bedurft
    Bei Rias Geburt und der des toten Zwillings, bei der Geburt sieben weiterer Kinder und dem Tod von vieren, bei Lykos' Heimkehr nach dem Krieg und vor allem bei Lykos' Entdekkung der geheimen Tänze –
    Der Stein hatte immer geholfen.
    Nun brauchte die Tochter ihn dringender als sie.
    Auf der offenen Hand hielt sie ihn Ria hin. »Hier! Das ist
    Nakis Stein. Sie hat ihn mir geschenkt, als ich dich geboren habe. Er hat mich damals aus Kindsnöten errettet, und er hat es jedesmal wieder getan. Die Kraft der Göttin ist in ihm wie in keinem anderen – und die Kraft von Naki. Jetzt schenke ich ihn an dich weiter. So hätte Naki es gewollt.«
    »Naki«, sagte Ria versonnen, nahm behutsam den Kiesel und führte ihn an die Lippen. »Ich danke dir, Mutter. Es bedeutet mir mehr, als du ahnen kannst, daß dieser Stein nun an mich weitergeht. Weißt du, mein Leben lang ist mir, als würde ich Naki kennen. Obwohl ich doch viel zu klein war, um mich an sie zu erinnern.«
    »Ich habe dir oft von ihr erzählt. Schon, als du noch nicht einmal laufen konntest. Und auch später, immer wieder.«
    Ria nickte. »Natürlich. Aber das allein – ich weiß nicht. Manchmal habe ich das Gefühl, es ist mehr. Als wäre sie da. Als würde sie mich begleiten.«
    Etwas in der Stimme der Tochter, in ihrem nach innen gerichteten Blick hielt Moria von einer Antwort ab. Sie spürte, dies war einer jener schwebenden Augenblicke, die man durch vorschnelle

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