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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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und Wider.
    Haibe, die Lippen zu einer schmalen Linie der Qual ge schlossen, sprach nicht.
    Kaum wußte sie, wo sie war.
    Von Dorf zu Dorf hatte Ritgo sie mitgenommen, der Herbst war darüber ins Land gezogen und hatte die Blätter von den Bäumen gefegt, ohne daß Haibe es recht bemerkt hatte. Immer wieder hatte Ritgo sie der Obhut irgendwelcher Frauen überlassen, während er selbst mit den Männerversammlungen sprach, er und die anderen Männer, die sich ihm anschlossen, von Dorf zu Dorf mehr. Bei ungezählten Versammlungen des Allgemeinen Dorfrats in ungezählten Dörfern hatte sie still und reglos neben ihm gesessen, das Ratschlagen der Frauen und Männer gehört und kein Wort davon aufgenommen.
    Längst hatte Ritgo seine hilflosen Versuche aufgegeben, sie aus ihrer Starrheit zu lösen, hatte sich damit abgefunden, daß sie keinen Anteil an dem nahm, was er tat, kaum aß, noch weniger sprach.
    Und keiner, der wußte, welch wütende Pein in ihrem Körper bohrte – krank seit den Tagen im Grab.
    Und keiner, der wußte, welch grausamer Kampf in ihrem Inneren tobte.
    Sie starrte ins Feuer. Bilder lösten sich daraus, fielen über sie her.
    Der kleine Rablu – sein Gesicht noch gerötet vom Weinen, die Spuren der Tränen auf seinen Wangen – lag in ihren Armen und schlief, den Kopf an ihre Brust geschmiegt, ganz weich und gelöst das liebe Gesicht, das eben noch von übermächtigem Kummer über den Tod des alten Hundes gezeichnet gewesen war. Sie hatte ihn gewiegt und ihm von dem warmen Schoß der Großen Göttin erzählt, in den der Hund eingegangen war und schlief, und aus dem er wieder neu geboren werden würde. Bald? hatte Rablu unter Schluchzen gefragt, und sie hatte die Tränen von seinen Augen geküßt und gesagt: Ja, bald.
    Rablus Gesicht im Grab, blau angelaufen, in der Todesqual verzerrt, die Augen aus den Höhlen hervorgetreten .. .
    Wirrkon und Naki – der Augenblick, als Naki Wirrkon die Hand auf den Arm gelegt hatte: Danke, Bruder, und die beiden einander angesehen hatten: Was kann uns geschehen, solange wir füreinander einstehen, du für mich, ich für dich...
    Aktoll hatte Naki nach dem Kittel gefragt, den er ihr am Vorabend zum Flicken gegeben hatte. Ich bin noch nicht dazu gekommen, hatte sie erwidert, aber Aktoll, der den Kittel brauchte, war so verärgert gewesen, daß er sie »bodenlos faul« genannt hatte, und Naki, tief verletzt, hatte geschwiegen. Haibe war nahe daran gewesen, einzugreifen und Naki
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    zu rechtfertigen, die den ganzen Abend die Wiedergeburt des Mondes in Gebet und Tanz gefeiert hatte – nur das Wissen um das Verdienst ihrer Brüder an Nakis Erziehung hatte sie noch davor zurückgehalten –, da hatte Wirrkon ruhig gesagt: Hast du vergessen, Oheim, daß gestern abend Neumondlicht war? Aktoll hatte bestürzt eingehalten und sich entschuldigt: Es tut mir leid, Naki. Ich sollte wissen, daß es manchmal Wesentlicheres gibt als einen Kittel.
    Und nun stand Wirrkon für niemanden mehr ein, und niemand stand Naki bei ...
    Das Feuer leckte und züngelte an einer Baumwurzel. Wie mußte das Dorf gebrannt haben ...
    Aktolls Körper bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, einer der namenlos verkohlten Leichname, die Ritgo im Grab übereinandergelegt hatte...
    Haibe floh vor dem Bild, flüchtete in die Rede der Frauen, unter denen sie saß, hörte auf die Worte, ohne ihnen einen Sinn zu geben, nur um Aktolls Leichnam nicht sehen zu müssen, hörte und vergaß, was sie hörte, kaum daß es verklungen war.
    »Was sie im letzten Sommer taten, können sie im nächsten wieder tun, und vielleicht ist dann unser Dorf an der Reihe!«
    »Eben, und darum sag' ich, wir müssen unser Getreide dreschen und unsere Vorräte und Werkzeuge auf Ochsenkarren packen und uns auf den Weg machen. Wir müssen fliehen, je weiter weg, desto besser!«
    »Wie du dir das vorstellst! Wohin sollen wir denn gehen?! Wo der Boden einigermaßen gut ist, da leben Bauern. Meinst du, die freuen sich, wenn wir kommen?«
    »Wir können doch nicht unseren Boden und unser Dorf verlassen, und schon gar nicht das Grab unserer Mütter und Ahnen!«
    »Das mein' ich auch! Wie sollen wir leben ohne diesen Ort der Verbindung zu ihnen, ohne die Nähe der Steine! Und vor allem ohne die Heiligen Steine, die Gräber der Urfrauen! Nicht nur unsere Körper, auch unsere Seelen wären ohne Heimat. Mit dem Gedanken kann ich mich nicht abfinden.«
    »Kannst du dich eher mit dem Gedanken abfinden, daß deine Söhne ermordet werden und deine

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