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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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Töchter entführt?«
    »Es heißt, sie wüten nicht in allen Dörfern so. Es heißt, in den Gegenden, wo sie selbst leben, verschonen sie die Bauern. Sie verlangen nur, daß die Bauern ihnen Getreide hiefern, ihnen Boden und Wald überlassen und ihnen Arbeit leisten, aber sie lassen sie am Leben.«
    »Was ist das noch für ein Leben, täglich in Angst vor Vergewaltigung, täglich in Not! Nie willige ich darein!«
    »Ritgo sagt, es gibt nur eines, was wir tun können, nur eines, was wir tun müssen: uns wehren. Er sagt, vor einer Gewalt wie der der Söhne des Himmels kann man sich nur mit Gewalt schützen. Er sagt, es gibt keinen anderen Weg, die aufzuhalten, weil die sich durch nichts anderes aufhalten lassen. Wir sollen uns im Gebrauch der Waffen üben, Männer und Jungen, vielleicht sogar Frauen und Mädchen, nur so können wir den Söhnen des Himmels Einhalt gebieten!«
    Für einen Augenblick horchte Haibe auf. Ritgo? Welcher Ritgo? Nicht ihr Bruder. Ihr Bruder würde so etwas nicht sagen.
    »Aber das bedeutet Krieg!« erwiderte erregt eine andere Frau. »Und wo soll das hinführen? Gewalt erzeugt wieder Gewalt, und die wieder, ein Kreis ohne Ende, in den man niemals eintreten darf, hat das der Dala nicht von seinem Großen Oheim gelernt?!«
    Karu und Wirrkon spielten im Hof. Doch plötzlich kein Spiel mehr, plötzlich Streit.
    Sie wälzten sich im Sand.
    Wirrkon, obwohl älter und größer als Karu, kam unten
    zu liegen, Karu kniete auf ihm, drückte ihn zu Boden, brüllte.
    Ritgo kam aus dem Schuppen, ging zu den raufenden Jungen, beugte sich über sie und legte Karu die Hände auf
die
Schultern, ruhig und fest.
    Karu drehte den Kopf, wurde rot, ließ Wirrkon frei und stand auf. Auch Wirrkon rappelte sich auf.
    »Was ist hier los?« fragte Ritgo.
    »Weil«, begann Karu, »Wirrkon hat mir den Ring weggenommen, ich hab' damit gespielt, und da kommt Wirrkon und nimmt ihn mir einfach weg . . .« Er sprach nicht weiter.
    »Wirrkon nimmt dir was weg, und du stürzt dich auf ihn!« Ritgo schüttelte den Kopf. »Wie zwei Kleinkinder, die es nicht besser wissen. Geht wie Männer miteinander um! Gewalt ist niemals ein Mittel, das zu bekommen, was man will, und das zu verteidigen, was man hat. Niemals!«
    »Gewalt ist niemals ein Mittel, das zu bekommen, was man will, und das zu verteidigen, was man hat. Niemals!« wiederholte Haibe heiser.
    Die Frauen drehten sich nach ihr um, sahen sie erstaunt an. »Haibe! Du sprichst ja mit uns! Und wir haben geglaubt, du hörst uns gar nicht! Wie geht es dir?«
    »Flieht!« flüsterte sie. »Hört ihr! Flieht! Sie kommen! Die Gräber werden die Toten nicht fassen! Und ihr und eure Töchter werdet ...«
    Sie brach zusammen, geschüttelt von krampfhaftem Weinen.
     

8
    Der Abend war kalt und klar. In tiefem Rot war die Sonne untergegangen, als brenne am Horizont ein riesiges Feuer.
    Im Osten aber erhob sich glänzend der volle Mond, löste sich aus den Baumwipfeln des fernen Waldes und schwamm im dunkel werdenden Himmelsmeer.
    »Komm, Haibe, tanz mit uns!« Eine Frau ergriff Haibes Rechte, eine andere ihre Linke. Langsam schritten sie im Kreis. Willenlos ließ Haibe sich mitziehen.
    Die Frauen sangen. Sie sangen vom Mond und von der Erde, vom Wasser und von der Göttin. Haibe sang nicht.
    Vorwärts gingen die Schritte, das Gesicht zur Zukunft gekehrt: Zeig uns, Mutter, den Weg, den alles Leben geht.
    Rückwärts wandten sie sich im Voranschreiten: Hinter uns die Mütter und Ahnen. Laßt uns bedenken, woher wir kommen.
    In den Kreis hinein schritten sie: zur Mitte, zu Ihr.
    Leise, zögernd, mit geschlossenen Lippen, summte Haibe die uralten Weisen mit, vertraut ihr ganzes Leben lang – und viele Leben zuvor.
    Die Arme hoben sich zum Himmel, priesen die Schönheit, die Güte, die Allmacht.
    Haibe richtete sich auf. Der Mund öffnete sich. Fester klang das Lied.
    Dann beschrieben die Arme den weiten Kreis, senkten sich im großen Bogen herab, reckten sich wieder zum Himmel, schlossen in dieser einen Bewegung alles ein: den Mond und
    die Sterne, den Erdkreis und das Himmelsgewölbe, die Höhle des Grabes und den Leib der Großen Göttin, den ewigen Gral des Lebens und des Heils – die Pflanzen und die Tiere,
die
    lebenden Menschen und die toten, das Geheimnis der Wiedergeburt.
    Vor dieser Größe zerbrach die Wand, die Haibe umschloß. Steine rückten zur Seite, und Fels zerbarst, und Berge wälzten sich von ihrer Seele.
    Und sie sah das Licht und erkannte es wieder.
    Die Frauen faßten

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