Die goldene Göttin
es ließ sich machen, Schritt um Schritt. Die goldene Göttin würde allmählich in den Hintergrund treten und von der Szene verschwinden, Nodiesop würde seine alten, abtrünnig gewordenen Anhänger zurückgewinnen, ein neuer Regent konnte auf die Nachfolge vorbereitet werden, um die Herrschaft zu übernehmen, wenn König Fortune das Land verließ – vielleicht ließ sich unter den Stämmen des Nordens ein neuer Katakan finden, der dann eine erfolgreiche Invasion durchführen konnte … Aber das waren Details, die später auszuarbeiten waren.
Ohne Zwischenfall erreichten sie den Palast. Die Wächter an der Brücke über den Wassergraben salutierten vor Norni und ließen sie passieren. Der Anblick ihres bizarren Begleiters verblüffte die Männer, denn man hatte ihnen eingeschärft, nach dem entsprungenen Barbaren Ausschau zu halten, aber da die Hohepriesterin die Situation in der Hand zu haben schien, bestand keine Notwendigkeit, Alarm zu schlagen. Welche Gefahr konnte von einem unbewaffneten Mann ausgehen, der obendrein von Wächtern umringt war?
Vor dem Palasteingang brannten Pechfackeln in bronzenen Haltern. Ihr gelbroter Lichtschein flackerte über Büsche und Bäume, spiegelte sich in den dekorativen Teichen. Die kleine vergoldete Kuppel über dem Bauwerk schimmerte im Widerschein des vulkanischen Feuers in magischem Rot. Ein paar Jahre als König dieses barbarischen Landes, überlegte Fortune, wären ganz und gar keine unangenehme Pflicht – er konnte sogar eine Rolle sehen, in der Webley sein Vergnügen hatte, nämlich als Inkarnation des Meeresgottes. Er beschloß sich die Idee gut zu merken, dann hatten sie das Palastportal erreicht, und er flüsterte Norni aus dem Mundwinkel zu: »Laß die Eskorte umkehren.«
Sie tat es und lobte das gute Benehmen der Männer mit freundlichen Worten, ohne aus ihrer aristokratischen Reserve herauszugehen. Die sechs salutierten und kehrten um.
Neue Wachen flankierten das Portal.
»Ich habe eine Überraschung für König Kronos«, sagte Norni mit einer Kopfbewegung zu ihrem Begleiter. »Er hat ein Gift bekommen, darum brauchen wir keine Eskorte. Komm, Barbar!«
Fortune folgte ihr mit teilnahmsloser Miene, doch als sie den Eingang durchschritten, mußte er ein Lächeln unterdrücken. Ja, die neue Hohepriesterin wäre eine ausgezeichnete Mitarbeiterin beim Neuaufbau des alten Nodiesopis.
*
R’cagn hatte den Brand gesehen. In einer Stadt, deren Himmel immer von Feuerschein gefärbt ist, müssen die Flammen mehr Ehrgeiz entwickeln als anderswo, wenn sie Beachtung finden wollen. Der oberste Richter war eben zu dem Schluß gelangt, daß hinter der Zusammenrottung am Hafen mehr stecken mochte als die dort stationierten Wächter ahnen konnten, als heftig gegen seine Tür gehämmert wurde.
Er öffnete sie und sah sich einem aufgeregten Offizier gegenüber, der völlig außer Atem war. »Ehrwürdigster R’cagn«, keuchte der Mann. »Ein Aufstand ist ausgebrochen! Meine zehn Leute … sie waren auf der Suche nach dem Barbaren … wurden überfallen … bestialisch ermordet… nur weil ich ein Pferd hatte, entkam ich … müssen die Garnison alarmieren.«
R’cagn täuschte eine ruhige Überlegenheit vor, die er nicht fühlte. Er zwang den Mann, Platz zu nehmen, beruhigte ihn mit einem Krug Bier und drängte ihn, einen zusammenhängenden Lagebericht zu geben. Als ehemaliger General brauchte er nicht lange, um zu begreifen, daß seine Position vom militärischen Standpunkt aus gesehen unhaltbar war.
Die Garnison verfügte nur über die Hälfte ihrer Sollstärke, alle anderen waren in Patrouillen von jeweils zehn Mann und einem Offizier unterwegs, um die Stadt zu durchkämmen. Die zweite Garnisonsbesatzung genoß ebenso wie die Hälfte der arbeitenden Zivilbevölkerung ihre dreitägige Freizeit. Die meisten dieser Männer, das wußte R’cagn aus Erfahrung, waren unerreichbar. Wer seine freien Tage nicht außerhalb der Stadt verbrachte, um einen Garten oder Acker zu bearbeiten, war entweder betrunken, von Rauschmitteln umnebelt oder bei den Hahnenkämpfen, um seinen Sold zu verwetten.
Der atemlose Offizier konnte keine genaue Schätzung der Stärke des Aufständischenhaufens geben, auf jeden Fall aber reichte sie aus, um jede isolierte Patrouille mit Leichtigkeit zu überwältigen. Und die Menge drang direkt gegen die Garnison vor.
Für einen Mann, dessen Gelenke vom Alter steif waren und dessen Bauch lange Jahre bequemen Lebens bezeugte, handelte R’cagn überaus
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