Die Goldenen Regeln des friedvollen Kriegers
macht, dann tun sie es. Der Hedonist hat mehr Freude am Leben – wahrscheinlich hat er auch mehr zu bereuen.
Aber was für einen Spaß kann es erst machen, die Rollen zu wechseln und dem Puritaner einmal einen Tag oder eine Woche oder ein ganzes Jahr frei zu geben: das Leben zur Abwechslung einfach ein bißchen lockerer anzugehen, seine Haare offen oder lang zu tragen, sich auch mal eine Süßigkeit oder ein Stück Kuchen zu genehmigen, ein bißchen zu flirten und manche Dinge nur so zum Spaß zu tun, selbst wenn nichts Konstruktives dabei herauskommt. Und wie interessant ist es für den Hedonisten, sich zur Abwechslung einmal eine puritanische Lebensweise aufzuerlegen – auf seine Ernährung zu achten, mehr Sport zu treiben, vielleicht sogar eine Fastenkur zu machen!
Ich will damit nicht sagen, daß wir tief verwurzelte Wertvorstellungen, die uns hoch und heilig sind und mit denen wir gut zurechtkommen, einfach beiseite fegen sollen. Ich meine nur, daß wir Alternativen haben, daß wir auch einmal ganz bewußt die
Rolle eines Menschen mit anderen Wertvorstellungen, Ansichten und Verhaltensweisen spielen können, die uns erstrebenswert erscheinen – wenn auch nur zur Abwechslung! Auf diese Weise erstarren wir nicht in einer bestimmten Rolle und entgehen der Gefahr, unser Leben lang ein und dieselbe Person zu spielen.
Als ich Turnerinnen auf dem Schwebebalken trainierte, fiel mir auf, daß manche immer auf derselben Seite vom Balken herunterfielen, wenn sie eine neue Bewegung ausprobierten. Ich riet ihnen dann, nicht krampfhaft oben bleiben zu wollen, son dern sich einmal absichtlich auf der anderen Seite herunterfallen zu lassen. Dadurch, daß wir beide Seiten einbeziehen, finden wir die Mitte. Zum inneren Gleichgewicht gehört also die Fähigkeit, beide Seiten einer Rolle zu beherrschen. Es bedeutet, Mäßigung und Leidenschaft miteinander in Einklang zu bringen: den Hedonisten zu spielen und das Leben zu feiern, als sei es eine einzige Party, und am nächsten Tag die Rolle des Puritaners zu übernehmen, wenig zu essen, mehr Sport zu treiben und uns wieder von dem Vergnügen zu reinigen, das wir in der Nacht zuvor hatten.
Manchmal muß man innerlich starr und hart sein, man muß nein sagen können und es auch so meinen, muß Grenzen setzen. In anderen Situationen ist es wiederum besser, sich gefühlvoller zu zeigen, Kontakt zu seinen Emotionen aufzunehmen und sie zum Ausdruck zu bringen. Manchmal müssen wir den Skeptiker spielen und wissen, wo die Grenze zwischen dem Absoluten und dem Lächerlichen liegt; dann wieder müssen wir an eine Sache, eine Idee, einen Freund oder an uns selbst glauben. Ich wiederhole, man muß beide Seiten ausprobieren, um die Mitte zu finden.
Ein ausgeglichenes Leben oder der «Mittelweg» kann auch bedeuten, daß man hin und wieder die Extreme auslotet – hart arbeitet oder aber sich ganz dem Vergnügen hingibt, steht oder sitzt –, nicht zwischen beidem hin und her schwankt. Eine erst heiße und dann eiskalte Dusche gibt uns mehr Energie als eine lauwarme. Es ist ein angenehmes Gefühl, es bequem zu haben, aber wenn wir es uns immer bequem machen, versäumen wir die Chance, nach etwas zu greifen und zu wachsen.
Was für Rollen spielst du?
Zähle einmal alle Rollen auf, die du in deinem täglichen Leben spielst – bei der Arbeit und zu Hause. Frage dich:
Welche Rollen sollte ich noch mehr üben?
Welche Rollen fehlen?
Wie könnte ich mein Repertoire erweitern?
Sicher und geborgen ist ein Schiff nur im Hafen, aber dafür sind Schiffe nicht da. Riskiere ab und zu etwas. Stürze dich einfach ins Leben hinein. Tu etwas, wovor du Angst hast. Wage dich an eine Aufgabe, der du normalerweise lieber aus dem Weg gegangen wärst, weil du sie dir nicht zutraust oder weil irgend jemand anders sie dir nicht zugetraut hat. Du kannst viel mehr schaffen und sein, als du glaubst.
Der goldene Adler
Ein Mann fand einmal ein Adlerei und legte es einer seiner Hennen im Hühnerhof ins Nest. Der Adler wurde zusammen mit den Küken ausgebrütet und wuchs mit ihnen auf.
Da er sich für ein Huhn hielt, gackerte er. Er schlug mit den Flügeln und flatterte immer nur höchstens einen oder anderthalb Meter in die Höhe wie ein anständiges Huhn. Und er scharrte in der Erde nach Würmern und Insekten.
So verging Jahr um Jahr, und der Adler wurde alt. Eines Tages sah er einen prächtigen Vogel, der hoch oben am Himmel majestätisch seine Kreise zog. Bewundernd blickte der alte Adler nach oben.
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