Die Goldhaendlerin
seine vorspringende, leicht hängende Unterlippe als hübscher Mann gelten können. Zorn verdunkelte seine hellblauen Augen, aber als er sich Orlando und Lea zuwandte, wichen die Schatten von seinem Gesicht und machten einem fröhlichen Lächeln Platz.
»Willkommen, meine Freunde. Es freut mich, in dieser abgelegenen Gegend zwei Herren von Anstand und ausgesuchter Höflichkeit getroffen zu haben.« Plötzlich stutzte er und blickte Orlando durchdringend an. »Dich kenne ich doch. Wo habe ich dich vor kurzem erst gesehen?«
Van Grovius fasste Orlando schärfer ins Auge und legte die Stirn in Falten. Plötzlich hüstelte er, um die Aufmerksamkeit seines Herrn auf sich zu lenken. »Ich erkenne den Mann, Eure Hoheit. Er kam im letzten Jahr als Bote der Antwerpener Bankiers Eelsmeer und Deventer in unser Feldlager und hat uns das Geld gebracht, das wir so dringend für die Fortsetzung der Belagerung von Rouvellier benötigten.«
»Dann sei er uns doppelt willkommen.« Maximilian klopfte Orlando freundlich auf die Schulter und bat ihn, zu seiner Linken Platz zu nehmen. Lea musste sich neben ihn setzen und fand sich so in der Nähe des Herzogs wieder.
Unterdessen tobte sich das Unwetter mit voller Wucht über dem Dorf aus. Der Himmel war so schwarz wie in einer Neumondnacht, und das Wasser fiel vom Himmel, als wollte es Mensch und Tier ersäufen. Die Wirtsknechte brachten Laternen mit duftenden Wachskerzen herein, doch trotz der Lampenschirme aus Glas flackerten die Dochte im Luftzug und drohten immer wieder auszugehen.
Nach dem dritten Becher Wein erinnerte Herzog Maximilian sich an seine Vorreiter und winkte den Wirt mit grimmiger Miene zu sich. »He, du Schurke, was hast du mit meinen Leuten gemacht, die ich zu deiner Herberge vorausgesandt habe?«
Dieser zuckte schuldbewusst zusammen. »Verzeiht, Eure Hoheit, aber wir haben sie betrunken gemacht und in den Schweinestall gesperrt. Ich werde sie sofort herausholen lassen.«
Der Herzog musste ein Lachen unterdrücken. »Tu das! Obwohl ich sagen muss, die Kerle hätten es ob ihrer Dummheit verdient, die Nacht dort zu verbringen. Doch jetzt lass endlich auffahren. Reisen macht hungrig.«
Der Wirt verneigte sich devot und wieselte davon. Kurz darauf öffnete sich die Küchentür, und zwei Knechte erschienen mit einem riesigen Tablett, das sie wie eine Bahre zwischen sich trugen. Andere Knechte ergriffen die Platten und Schüsseln und boten sie dem Herzog als Erstem an. Orlando und Lea wurden direkt nach Maximilian bedient.
Lea winkte einem Knecht, der ihr ein Stück knusprig gebratenes Spanferkel vorlegen wollte, mit einer Geste des Abscheus beiseite. Auch Orlando lehnte das Ferkel ab und ließ sich stattdessen eine große Portion gedünsteten Karpfens auf seinen Teller laden. Lea wählte ebenfalls den Fisch und danach den in Pfeffer gewälzten Schenkel eines Kapauns. Das war nur der Beginn eines reichlich bemessenen Mahles. Lea konnte sich nicht erinnern, jemals so gut gespeist zu haben, aber sie musste sich sagen, dass dies nur recht und billig war. Schließlich hatte sie reichlich für die hohe Ehre bezahlt, am Tisch des Herzogs sitzen zu dürfen.
Ihr Blick streifte Orlando, der sich seinem Gesichtsausdruck nach sehr wohl zu fühlen schien. Der Handelsagent beachtete sie nicht weiter, sondern unterhielt sich angeregt mit dem Herzog, mit van Grovius und einigen anderen Herren aus Maximilians Begleitung. Dabei wechselte er mühelos von der deutschen Sprache ins Französische und brachte es sogar fertig, auf eine Frage Grovius’ in Flämisch zu antworten. Lea, die außer Jiddisch und Hebräisch nur Deutsch sprach, beneidete ihn glühend um diese Kenntnisse und fragte sich gleichzeitig, wer dieser Mann wirklich sein mochte.
In jener Wirtschaft, in der man sie hatte verbrennen wollen, hatte er sich als Beauftragter eines großen Handelshauses ausgegeben, und damit wäre er der nachrangige Angestellte eines Kaufherrn. Ruben ben Makkabi hatte ihn jedoch als Handelsagenten aus Hamburg vorgestellt, der auf eigene Rechnung arbeitete und Beteiligungen an Schiffsladungen und Handelszügen vermittelte, und hier bezeichnete man ihn nun als Geldboten eines Antwerpener Bankiers. Lea hatte mit einem Mal das Gefühl, dass es nicht gut wäre, zu genau zu wissen, was dieser Mann so alles trieb. Sie wäre nicht überrascht, zu erfahren, dass er mit Kaperkapitänen und den Seeräubern der nördlichen Meere im Bunde stände. Auf alle Fälle war er eine schillernde Figur und ein
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