Die Goldhaendlerin
bestand, zu zerreißen, um Verbandsmaterial zu gewinnen. Dieser Umstand hob seine Laune ebenso wenig wie die schmerzhaften Verrenkungen, die er machen musste, um sich einen festen Verband anzulegen. Das Hemd, das ebenfalls aus bestem Leinen für ihn angefertigt worden und noch so gut wie neu gewesen war, hatte einen langen Riss. Am liebsten hätte er es verbrannt, aber wegen der sommerlichen Hitze gab es kein Feuer im Kamin und es lag auch keine Asche darin. Einfach wegwerfen wollte er es nicht, denn das blutige Kleidungsstück konnte die Büttel auf ihn aufmerksam machen, und so rollte er es zusammen und stopfte es tief in sein Bündel. Er würde das Hemd seiner Mutter geben, damit sie es flickte und dem alten Hausdiener schenkte. Vorsichtig streifte Orlando sich sein Ersatzhemd über und steckte es in die Hose. Die Bewegungen bereiteten ihm Schmerzen, und doch fühlte er sich mit einem Mal recht zufrieden. Er hatte einen widerwärtigen Schuft zur Hölle geschickt und Lea davor bewahrt, ständig in Angst vor einem Erpresser leben zu müssen. Bei dem Gedanken überlegte er, ob er nicht gleich zu ihr gehen und ihr das Gold zurückgeben sollte. Er hob den Beutel auf, entschied sich dann aber anders, denn er wusste nicht, wie er die Sache erklären sollte. Wenn er ihr erzählte, was geschehen war, würde er in ihren Augen als Mörder dastehen, und das wollte er nicht.
Er beschloss, das Gold selbst einzutauschen, weitere Geschäfte in ihrem Namen zu betreiben und die Gewinne auf ihr italienisches Konto einzuzahlen. Irgendwann, in ein oder zwei Jahren, das versprach er ihr im Stillen, würde er den Wert des Goldes verdoppelt oder gar verdreifacht haben und ihr jeden Heller davon ohne die üblichen Abschläge zurückzahlen. Mit diesem Vorsatz verließ er seine Kammer und stieg in die Wirtsstube hinab, um sein unterbrochenes Abendessen fortzusetzen.
7.
Als Orlando am nächsten Morgen erwachte, stand die Sonne schon so hoch über dem Horizont, dass ihre Strahlen auf die gegenüberliegende Hauswand fielen. Seine Verletzung gestattete ihm immer noch keine schnellen Bewegungen und so benötigte er mehr Zeit als gewohnt, bis er sich gewaschen und angezogen hatte. Dennoch war er vor Lea in der Gaststube, und als sie erschien, trank er bereits sein Morgenbier. Sie wirkte übernächtigt, und ihre Lippen waren zu schmalen Strichen zusammengepresst.
Orlando winkte ihr fröhlich. »Einen schönen Guten Morgen, mein lieber Samuel.«
»Guten Morgen«, kam es mürrisch zurück. Orlando hob scheinbar verwundert den Kopf. »Welche Riesenlaus ist denn dir über die Leber gelaufen, mein beschnittener Freund?«
Bis jetzt hatte Lea immer gereizt reagiert, wenn er sie so genannt hatte. Heute zuckte sie jedoch nur mit den Schultern. »Warum sollte mir etwas über die Leber gelaufen sein? Ich habe mich nur entschlossen, nicht nach Worms weiterzureisen, sondern nach Hause zurückzukehren. Also werden sich unsere Wege hier trennen müssen.«
Orlando musste sich ein wissendes Lächeln verkneifen. »Aber warum? Du hast mir doch selbst erklärt, dass du dort Gold umtauschen und einige Geschäfte mit Zofar ben Naftali und seinen Freunden aushandeln wolltest.«
Er las Lea vom Gesicht ab, dass der Verlust des Goldes ihr diese Pläne vereitelt hatte und sie sich wie ein verwundetes Tier in die trügerische Sicherheit ihres Heims zurückziehen wollte. Wenn sie jetzt den Mund auftat und sich wenigstens in dieser Sache ihm anvertraute, würde er ihr das Gold zurückgeben und ihr sagen, dass sie den Erpresser nicht mehr fürchten musste. Doch ihr abweisender Gesichtsausdruck machte ihm klar, dass er zu viel von ihr erwartete.
»Ein Traum hat mich davor gewarnt, weiterzureisen. Deshalb habe ich mich heute Morgen zur Umkehr entschieden«, behauptete Lea, ohne rot zu werden, und forderte im gleichen Atemzug den Wirt auf, ihr Brot und Milch zu bringen. Der Mann verzog angewidert das Gesicht. »Was willst du denn mit Milch, Jude? Zu einem kräftigen Frühstück gehört Bier.«
»Und vielleicht auch noch ein Schweinebraten?«, fragte Lea bissig. »Bringe mir, was ich verlangt habe, und kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten.«
Orlando machte ein tadelndes Geräusch mit der Zunge. »Aber Samuel! Du beleidigst den guten Mann, denn er ist zu Recht stolz auf sein Bier. Auf dieser Reise habe ich noch kein besseres getrunken.«
Lea rümpfte die Nase. »Bei all dem Bier, welches Ihr in Euch hineinschüttet, bezweifle ich, dass Ihr den Unterschied noch
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