Die Goldhaendlerin
ihrer Geschwister kümmern sollen? Lea wusste keine Antwort auf all die quälenden Fragen, und mit Jochanan darüber zu reden, hatte in ihren Augen keinen Sinn, denn er war genau wie seine Mutter und seine Schwester gewohnt, der Herrschaft in Glück und Not gleichermaßen zu gehorchen und deren Entscheidungen nicht in Frage zu stellen.
Immer öfter kehrten ihre Gedanken zu Roland Fischkopf zurück. Sie wusste selbst nicht, warum sie ihn so schlecht behandelte, denn trotz seines Spottes und seiner Überheblichkeit hatte er ihr aus mehr als einer misslichen Lage herausgeholfen und auch sein Wort gehalten, das Gold, das er ihr vor zwei Jahren abgenommen hatte, mit Gewinn zurückzuzahlen. Mit dem Geleitbrief Herzog Maximilians war es ihr jetzt möglich, nach Genua zu reisen und die Anweisung, die Fischkopf ihr auf die Banco San Giorgio ausgestellt hatte, einzulösen. Natürlich konnte sie das Papier auch mit einigen Abschlägen an einen christlichen Bankier im Reich verkaufen, aber dazu musste sie ebenfalls an einen Ort reisen, an dem sie niemand kannte, und dort als Christ auftreten. Es reizte sie jedoch, nach Italien hinunterzufahren und sich das Geld selbst zu holen. Der Wunsch löste neue Gewissenbisse in ihr aus, denn ihr war klar, dass sie ihre Geschwister dann schon wieder für längere Zeit allein lassen musste, anstatt dafür zu sorgen, dass die beiden zu guten Menschen jüdischen Glaubens heranwuchsen. Das war ihre eigentliche Aufgabe – und nicht die, Geld zu scheffeln und einen gierigen Landesherrn damit zu füttern. Sie sah die Kluft, die zwischen ihrem Wunsch, nach Sitte und Brauch zu leben, und der Wirklichkeit lag und lachte bitter auf. Doch bevor sie erneut in einem schwarzen Sumpf voller Selbstvorwürfe eintauchen konnte, griff Jochanan ein. Er legte die Hand auf ihre Schulter und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. »Herrin, ist es Saul, der dir so viele Sorgen bereitet? Dann ist es wohl besser, ich kehre um und versuche, den Kerl unschädlich zu machen.«
Lea holte tief Luft und blickte Jochanan das erste Mal seit Tagen bewusst an. »Nein! Ich will nicht, dass du ihn tötest und dafür von den christlichen Behörden gefoltert und hingerichtet wirst.«
»Aber du und die anderen hättet Ruhe vor diesem Schuft.«
»Wenn du Erfolg hast, ist der Preis zu hoch, und wenn du scheiterst, bringst du ihn erst recht gegen uns auf, und er wird sich an uns heften wie ein Blutegel. Also vergiss die Sache.«
Jochanan atmete erleichtert auf. Er wäre bereit gewesen, sein Leben für Lea und seine Familie zu opfern, fühlte sich jedoch nicht zum Rächer berufen. Als sie weitergingen und Lea erneut ins Brüten versank, empfand er seine Hilflosigkeit stärker als je zuvor. »Herrin, ich mache mir Sorgen um dich.«
Lea sah ihn irritiert an. »Sorgen um mich? Aus welchem Grund?«
»Seit Hannosweiler wirkst du so gequält. Ich dachte, es wäre wegen Saul, aber es muss mehr sein.«
»Du bist ein braver Bursche, Jochanan, und der treueste Diener, den man sich wünschen kann. Aber auch du kannst mir meine Probleme nicht abnehmen.«
Jochanan begriff durchaus, dass sie nicht reden wollte, aber er musste sie aus diesem unguten Zustand herausreißen, selbst wenn er sich dafür ihren Zorn zuzog. So bohrte er weiter, bis Lea vor seiner Hartnäckigkeit kapitulierte.
»Es ist wegen Elieser und Rachel. Ich hätte mich mehr um sie kümmern müssen und fürchte, ich habe bei ihrer Erziehung versagt.«
Jochanan schüttelte energisch den Kopf. »Das hast du bestimmt nicht. Wenn man jemandem Vorwürfe machen müsste, dann deinem Vater. Er hat Samuel sehr streng erzogen und auch dich übermäßig hart angefasst, obwohl du ihm die Hausfrau ersetzt hast. Aber seine beiden jüngeren Kinder hat er nach dem Tod eurer Mutter so verwöhnt, dass es uns Bediensteten euch Älteren gegenüber mehr als ungerecht erschien. Ich höre von meiner Mutter und meiner Schwester gewiss mehr über das, was im Haus vorgeht, als du. Elieser spielt dir den eifrigen Talmudschüler nur vor. In Wirklichkeit liegt er, wenn du weg bist, faul herum und lässt sich sogar noch füttern. Und was Rachel betrifft, so sitzt sie am liebsten am Stadtgraben und genießt die Bewunderung der dort flanierenden Männer. Meine Mutter ärgert sich sehr darüber, denn das gehört sich wirklich nicht für eine fromme Jüdin, und da Rachel Gomer auf ihre Spaziergänge mitnimmt, muss meine Schwester auch noch deren Arbeit tun.«
Lea wurde blass vor Zorn. »Warum erfahre ich
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