Die Goldhaendlerin
erkennen könnt.«
Sie scheuchte den Wirt mit einer Handbewegung in die Küche und setzte sich zu Orlando an den Tisch, der ihr seinen Bierkrug entgegenstreckte.
»Hier trink, das kräftigt und vertreibt die Sorgen.«
»Wie kommt Ihr darauf, dass ich Sorgen hätte?«
Orlando hob die Handflächen zum Himmel und lächelte sanft.
»Jeder Mensch hat irgendwann Sorgen, und du siehst mir so aus, als hättest du sie heute.«
»Wenn ich es genau betrachte, ist heute eher ein Freudentag für mich, denn ich werde Euch endlich los.« Leas Stimme klang herb, doch es schwang ein so erleichterter Unterton darin, dass Orlando sie konsterniert musterte.
»Das meinst du doch nicht im Ernst, mein lieber beschn… Freund Samuel.«
»Ja, sagt es doch frei heraus. Gebt zu, dass ich für Euch doch nur ein verachtenswerter Jude bin«, forderte Lea ihn in scharfem Ton auf.
Orlando warf in einer verzweifelten Geste die Hände hoch und zuckte zusammen, weil die hastige Bewegung an seiner Wunde riss. »Du verkennst mich, Samuel. Ich verachte keine Juden – und ganz besonders dich nicht. Ganz im Gegenteil! Ich bewundere deinen Mut und deine Findigkeit, und ich bin überzeugt, dass sich nur wenige Menschen mit dir messen können.«
»Ich glaube, Ihr habt zu viel von dem Zeug da genommen.« Lea zeigte auf den Steinguttopf mit Gänseschmalz, der neben anderen Töpfen und Schüsseln vor Orlando stand.
Orlando seufzte tief und wandte sich dann Jochanan zu, der eben die Wirtsstube betrat. »Sag mir, wie kann ich deinen Herrn davon überzeugen, dass meine Absichten ihm gegenüber nur die besten sind?«
»Woher soll ich das wissen? Bitte lasst ihn in Ruhe, denn er hat eine sehr schlechte Nacht hinter sich.« Der Verrat des Mannes, den Jochanan für seinen Freund gehalten hatte, und die Scham, dass er seine Herrin nicht vor dem Strauchdieb hatte schützen können, ließen ihn die gewohnte Sanftmut und Zurückhaltung vergessen.
»Eurer Laune nach zu urteilen hattet ihr wohl beide schlechte Träume.« Orlando lachte kurz auf und wandte sich wieder seinem Frühstück zu. In seinen Gedanken aber wirbelten tausend Worte, die er Lea hätte sagen wollen. Doch bei jedem Satz hätte er ihr vorher beichten müssen, dass er ihr Geheimnis bereits seit fünf Jahren kannte. Er versuchte, sich ihre Reaktion darauf vorzustellen. Kratzbürstig und überempfindlich, wie sie war, würde das Geständnis in ihr nur Zorn, Hass und Verachtung auslösen. In diesem Augenblick verfluchte er sich, weil er ihr gegenüber nicht von Anfang an mit offenen Karten gespielt hatte. Aber zu Beginn ihrer Bekanntschaft hatte er sie nicht ernst genommen und sie zum Opfer jener Scherze gemacht, für die ihn sein Vater immer wieder tadelte, und jetzt war es zu spät. In seiner Überheblichkeit hatte er eine Mauer zwischen sich und ihr errichtet, die unüberwindlich hoch geworden war.
Nach einer Weile hob er den Kopf und blickte Lea seufzend an.
»Es ist wirklich besser, wenn unsere Wege sich trennen.«
Lea glaubte Verachtung in seinen Worten mitschwingen zu hören und kniff die Lippen noch fester zusammen. Wie hätte sie auch wissen können, dass der Widerwille, den sie bei ihrem Gegenüber spürte, diesem selbst galt.
»Sehr richtig! Juden sollen unter Juden bleiben und Christen unter Christen. Zwischen uns gibt es einfach keine Gemeinsamkeit.«
Orlando hob müde die Schultern. »Wir beten zum selben Gott und sollten die gleichen Gesetze beachten.«
Leas Gesicht wurde zu einer höhnischen Maske. »Das Wort ›sollten‹ ist typisch für euch Christen. Ihr führt das eine im Munde und tut in Wahrheit genau das Gegenteil. Ihr mordet und schändet in Gottes Namen und wisst gar nicht, wie sehr ihr ihn damit erzürnt. Eure Werke und Taten sind ein Gräuel vor Seinen Augen.«
Orlando lachte bitter auf. »Da muss wohl doch eine ganz große Laus auf deiner Leber krabbeln. Komm, trink ein Bier, damit du dich wieder beruhigst.«
Lea wollte auffahren, doch Jochanans Hüsteln machte sie darauf aufmerksam, dass der Wirt in die Stube zurückgekehrt war. Er hätte ihr die flammenden Anklagen gegen die Christenheit, die ihr noch auf der Zunge lagen, mit Sicherheit sehr übel genommen. So drehte sie Orlando den Rücken zu, nahm ihr Frühstück entgegen und schlang es so rasch hinunter, als hätte sie seit Tagen gehungert.
»Los, lass uns aufbrechen!«, befahl sie Jochanan, als sie fertig war.
Der Knecht starrte entsagungsvoll auf seinen halb vollen Teller, stand aber widerspruchslos
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