Die Goldhaendlerin
auf, denn er kannte Leas Stimmungen und wusste, wann es besser war, ihr nicht zu widersprechen. Hinter ihrem Rücken stopfte er sich noch schnell ein paar Brocken in den Mund und spülte sie mit einem letzten Schluck Milch herunter, ehe sie die Tür erreicht hatte.
»Verzeiht meinem Herrn. Er meint es nicht so«, raunte er Orlando im Vorübergehen zu.
Dieser blickte lächelnd zu ihm auf. »Samuel wird in mir immer einen guten Freund finden, das verspreche ich dir. Achte auf ihn und sorge dafür, dass er weder seine Kampfübungen noch die fremden Sprachen vernachlässigt.«
Jochanan nickte eifrig. »Das werde ich tun.«
Im selben Augenblick rief Lea ungeduldig nach ihm. Jochanan eilte hinaus und kam kurz darauf mit der Kiepe auf dem Rücken an der Türöffnung vorbei. Er winkte Orlando kurz zu, während Lea, die mit missmutigem Gesicht hinter ihrem Knecht herstapfte, dem Zurückbleibenden keinen Blick schenkte. Orlando trat ans Fenster, um den beiden hinterher zu sehen. Dabei wurde ihm klar, dass auch er nicht mehr lange verweilen durfte. Er musste Hannosweiler verlassen haben, bevor Sauls Leichnam gefunden wurde, denn es mochte Zeugen geben, die ihn mit blutverschmiertem Hemd aus der Hausruine hatten kommen sehen. Daher zahlte er seine Zeche und machte sich auf den Weg. Vor der Tür überlegte er, ob er seine Planungen nicht umstoßen und Lea folgen sollte. Schließlich schüttelte er den Kopf. Es gab Menschen, die auf ihn warteten und sich auf seine Hilfe verließen. Die durfte er nicht enttäuschen. Um sich abzulenken, ging er noch einmal die Pläne durch, die er für die nächsten Aktionen geschmiedet hatte, aber es gelang ihm nicht so recht, denn bald schon vermisste er Lea. Ihm fehlte sogar ihre tiefe, ihm gegenüber jedoch meist hell und keifend klingende Stimme, und so zweifelte er langsam an seinem Verstand. Was, fragte er sich, fand er eigentlich an diesem Weib, das ihn behandelte, als wäre er der schlechteste Mensch auf Gottes Erdboden? Aber wie er es auch drehte und wendete, er kam immer zu dem Schluss, dass er noch keiner Frau begegnet war, die ihr auch nur ansatzweise das Wasser reichen konnte.
8.
Die ersten Tage ihrer Reise legte Lea schweigend zurück.
Jochanan versuchte zwar mehrmals, ein Gespräch anzuknüpfen, doch ihr abweisender Gesichtsausdruck ließ ihn jedes Mal wieder verstummen. Dabei hätte er sich gewünscht, sie würde ihm ihr Herz ausschütten, denn in ihren Augen lag so viel Schmerz und Zorn, dass er sich fragte, was sie so tief getroffen hatte. Allein der Verlust des Goldes, welches sie nach der Hochzeit des Markgrafen noch einmal unter großer Gefahr aus dem Fluss geholt hatte, konnte es nicht sein.
Er ahnte nicht, wie Recht er hatte. Leas Gedanken galten tatsächlich nur am Rande dem verlorenen Gold. Was ihr Sorgen machte, war die Gefahr, die von Saul ausging. Mehr als einmal überlegte sie, ob es nicht besser wäre, nach Hannosweiler zurückzukehren, den ungetreuen Knecht zu suchen und zu töten. Aber sie verwarf den Plan, so oft sie ihn fasste, denn sie wusste, dass sie nicht in der Lage war, einen Menschen umzubringen, und Jochanan war es noch weniger.
Zwischendurch schwelgte sie in Selbstvorwürfen. Sie hätte damals, nach dem Tod ihres Vaters, alles packen und vor dem Ablauf der vier Wochen mit ihren Geschwistern und den Bediensteten Hartenburg verlassen sollen. Hätten sie sich damals in einer Reichsstadt angesiedelt, die unter dem Schutz des Kaisers stand, wären sie zwar nach den notwendigen Zahlungen bettelarm gewesen und hätten von der Mildtätigkeit anderer Juden leben müssen, doch sie wäre nicht gezwungen gewesen, ein solch unnatürliches Leben zu führen und sich immer wieder in Gefahr zu begeben. Elieser wäre in die jüdische Gemeinschaft hineingewachsen und hätte sich ein Beispiel an anderen jüdischen Männern nehmen können. Mit Hilfe der anderen Gemeindemitglieder wäre es ihm vielleicht sogar möglich gewesen, einen kleinen Handel anzufangen und der Familie ein bescheidenes Auskommen zu sichern, und Rachel wäre längst mit einem frommen Mann verheiratet. Vielleicht hätte auch sie selbst einen Ehemann und mit ihm zusammen die Liebe gefunden. Ihre Selbstzweifel wuchsen mit jeder Meile, die sie zurücklegten. Hatte sie wirklich nur ihre Familie retten wollen? fragte sie sich. Oder hatte Rachel Recht, die ihr vorwarf, sie und Elieser beherrschen zu wollen? Hätte sie weniger Kraft und Zeit in ihre Geschäfte stecken und sich stattdessen um die Erziehung
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