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Die Goldhaendlerin

Die Goldhaendlerin

Titel: Die Goldhaendlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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näherte er sich so lautlos wie möglich. Durch einen Riss in dem Sack, der die Tür ersetzte, konnte er in die schmuddelige Kammer sehen, in der Saul sich häuslich eingerichtet hatte. Eine einfache Schlafstelle, ein aus Ziegelsteinen aufgeschichteter Tisch, den eine zerbrochene Marmorplatte deckte, ein primitiv gefertigter Hocker und ein paar in die Wand geschlagene Haken bildeten die ganze Einrichtung. Während Orlando nach einer zweiten Person Ausschau hielt, wurde ihm klar, dass Saul in triumphierenden Selbstgesprächen schwelgte. Der Knecht pries die unerwartete Wendung seines Schicksals und spottete über Lea, die er auch weiterhin ausnehmen wollte wie einen Sabbatkarpfen. Als der Mann sich von dem kleinen Fenster entfernte, durch das er hätte fliehen können, riss Orlando den Vorhang beiseite und sprang in den Raum.
    Saul trat schützend vor den Sack mit dem Gold, der halb ausgeleert auf seinem Bett lag, und brüllte den ungebetenen Besucher an. »Raus hier! Das ist meine Wohnung!«
    Orlando grinste. »Oh, ich gehe wieder, sobald du mir den Beutel ausgehändigt hast, den du gerade zu verbergen suchst, und zwar mit jedem Stäubchen, das hineingehört.«
    Saul richtete sich drohend auf. »Das hättest du wohl gern! Ich sagte: Verschwinde, sonst …!«
    »Möchtest du dem Richter erklären, wie du zu dem Gold gekommen bist?« Orlandos Stimme klang sanft und weckte gerade deswegen in Saul die Erinnerung an ihre Begegnung in der Augsburger Schenke.
    »Du schon wieder!«
    »Ja, ich«, antwortete Orlando mit einem Lächeln, das mehr einem Zähnefletschen glich. »Aber diesmal lasse ich dir die Beute nicht.«
    »So, das tust du nicht? Wie willst du mich denn daran hindern?«, fragte Saul höhnisch, während seine Hand an seinem Rücken entlang zu der Messerscheide glitt, die in seinem Hosenbund verborgen war. Er lachte kurz auf, drehte sich leicht zur Seite, um seinen Gegner zu täuschen, und riss die Waffe heraus. Als die Klinge auf Orlando zufuhr, wich dieser mit gewohnter Schnelligkeit aus. Doch der Raum bot ihm nicht genug Platz, und so schrammte die Spitze des Messers über seine Rippen.
    Noch ehe Orlando den Schmerz spürte, trat er mit aller Kraft zu. Er traf Saul so hart am Knie, dass der Mann einknickte und nach hinten stürzte. Dabei schlug sein Hinterkopf mit einem hässlichen Knirschen gegen die Tischplatte. Ein Zittern ging durch seinen Körper, der haltlos an den Ziegelsteinen herabrutschte, und das Messer entglitt seinen Händen. Orlando trat auf die Waffe und zog im gleichen Moment seine eigene Klinge, um gegen den nächsten Angriff gewappnet zu sein. Dann aber stellte er fest, dass sein Gegner sich bei seinem Sturz das Genick gebrochen hatte. Dieser Mann würde Lea nie mehr erpressen. Orlando atmete hörbar auf und horchte kurz, ob der Lärm Neugierige angelockt hatte. Als sich nichts rührte, schob er das Gold, das Saul auf einem alten Dachziegel ausgebreitet hatte, in den Beutel zurück, presste seinen linken Unterarm auf den blutenden Schnitt über seinen Rippen und verließ das Gemäuer. Ehe er die Straße betrat, sah er sich vorsichtig um, aber zu seinem Glück hasteten die wenigen Menschen, die sich auf den Gassen bewegten, grußlos an ihm vorbei oder wichen ihm genauso ängstlich aus wie den anderen Passanten. Das ungewöhnliche Misstrauen, welches diese Stadt beherrschte, kam Orlando ebenso zugute wie die schnell hereinbrechende Dämmerung, die dafür sorgte, dass man in der Herberge nur so weit sehen konnte, wie das Licht der beiden in der Gaststube brennenden Kienspäne reichte. So entging dem Wirt, der ihm entgegenkam, seine Verletzung.
    »Sind die Juden angekommen, die ich unterwegs überholt habe?«, fragte Orlando ihn.
    Der Wirt nickte. »Gerade vorhin. Sie haben sich gleich in ihre Kammer zurückgezogen.«
    »Gut, dann werde ich mich ebenfalls in mein Zimmer begeben.«
    Der Wirt deutete auf den Tisch, auf dem noch Orlandos Mahl stand. »Ist mein Essen Euch nicht gut genug? Soll ich es abräumen lassen?«
    »Nein, nein, ich habe nur noch etwas zu erledigen. Seid so gut und haltet die Fliegen fern, bis ich wieder da bin.«
    Orlando nickte ihm zu und stieg schnell nach oben, bevor ein Wirtsknecht auftauchte, um ihm den Weg auszuleuchten. In seiner Kammer konnte er sich endlich um seine Wunde kümmern. Es war ein glatter Schnitt, der an einer Stelle den Muskel verletzt hatte und stark blutete. Orlando sah sich gezwungen, sein bestes Unterhemd, das aus besonders fein gewebtem Leinen

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