Die Gordum-Verschwörung
Fußgängerzone parkte. Türen öffneten sich wie auf ein Kommando hin, Menschen quollen aus den Fahrzeugen, Schweiß überzog Grevens Handflächen, hinter seiner Stirn arbeitete die Unsicherheit, nicht zum ersten Mal.
Nur nicht erwischen lassen, ermahnte er sich, streckte sein Kreuz, brachte seine 1,82 Meter in Position und ließ den Gegner kommen. Bloß nicht auf ihn zugehen. Ausharren können. Seinem Blick nicht ausweichen. Oft hatte er diesen Part schon gegeben, und von Mal zu Mal kam er sich alberner dabei vor, doch ein geständiger Auftritt, der seine Zweifel und seine Angst hätte erkennen lassen, war in seiner Situation nicht möglich.
„Sagen Sie mal, Greven, sind Sie sich eigentlich darüber im Klaren, was Sie das kosten kann?“, eröffnete der Mann im grauen Anzug, der sich nach schnellen Schritten vor ihm aufbaute, das Feuer. Es war Meier, der Neue. Greven war ihm erst einmal begegnet, hatte erst ein paar Worte mit ihm gewechselt.
„Natürlich, Meier“, antwortete Greven ruhig, seine Stimme vorsichtig jonglierend, „doch sind Sie sich darüber im Klaren, welche Folgen dieser Mord haben kann, sollte er unentdeckt und unaufgeklärt bleiben?“
„Wie kommen Sie eigentlich auf Mord? Da bin ich aber wirklich sehr gespannt!“, sagte Meier, nun eingerahmt von Schoenmakers, seinem Assistenten, und einem Uniformierten. Ein weiterer hielt eine unscheinbare, schwarz gekleidete Frau in petto: die Schwester des toten Numismatikers.
„Jacobs war ein wichtiger Zeuge im Fall Claasen. Sein plötzlicher Tod, so kurz nach meinem ersten Besuch, kann kein purer Zufall sein. Dafür war er einfach zu wichtig.“
„Und wenn es doch ein Zufall war? Herzinfarkt ist schließlich keine seltene Todesursache, schon gar nicht in seinem Alter.“
„Ich kenne den Zufall“, pokerte Greven und erhöhte den Einsatz. „Stochastik und Chaos-Theorie sind alte Freunde von mir. Nicht jeder Zufall, den wir leichtfertig als einen solchen abtun, ist auch einer, vor allem dann nicht, wenn verschiedene Zufälle aufeinandertreffen und einen Zusammenhang, eine Ordnung erkennen lassen. Und der plötzliche Tod von Herrn Jacobs ist ein klar erkennbares Segment eines Gesamtzusammenhangs. Die Obduktion wird zeigen, dass er, wie auch immer, ermordet worden ist.“ Greven vermied es, Details in den Raum zu werfen, hatte seine Stimme fest im Griff und fixierte Meier leicht von oben herab. „Ich kann doch mit Ihrer uneingeschränkten Unterstützung rechnen?“
„Sie müssen wissen, was Sie da tun“, gab sein Emder Kollege endlich nach, machte ein welkes Gesicht und ließ Frau Jacobs aus der Deckung bringen. Eine kleine, blasshäutige Frau, Ende fünfzig, mit geröteten Augen. Stumm und aus jedem Verständnis geworfen, starrte sie Greven an, der die sich ausbreitende Trockenheit in seinem Mund gerne mit einem Grappa bekämpft hätte.
„Frau Jacobs, es tut mir furchtbar leid“, begann er seine kurze Ansprache, „ich verstehe Ihre Gefühle, aber diese Untersuchung ist leider nicht zu vermeiden. Außerdem wollen Sie doch, dass wir den Mörder Ihres Bruders fassen, falls meine Vermutung stimmt.“
Das Gesicht der Frau blieb ausdruckslos, während Meier scheinbar gelangweilt die Wölkchen am Himmel zählte. Greven hatte seinen Prolog beendet und ging zum Frage-und-Antwort-Spiel über, wobei er Meier ebenso ignorierte wie dieser ihn.
Frau Jacobs erzählte ihm in wenigen Sätzen, dass sie und ihr Bruder das Geschäft gemeinsam betrieben hatten, dass sie ihren Bruder vor vier Tagen zusammengesunken auf seinem Sofa vorgefunden hatte, und der sofort herbeigerufene Arzt nur noch einen schnellen Herztod hatte feststellen können.
„Das ist nicht überraschend gekommen, denn mein Bruder war schon seit vielen Jahren krank. Angina pectoris, verstehen Sie? Und die Arterien. Medikamente hat er nehmen müssen. Der Arzt hat gesagt, es sei sehr schnell gegangen.“
Grevens Zweifel wucherten, allen Zufallstheorien zum Trotz; Meier starrte noch immer scheinbar teilnahmslos in den friesischblauen Himmel.
„Womit war Ihr Bruder gerade beschäftigt, kurz bevor er starb?“
„Er hatte sich eine Tasse Tee gemacht.“
„War er allein? Hatte er Kunden im Laden? Oder Besuch?“
„Nein, er war allein“, antwortete Frau Jacobs, der in diesem Moment die Tränen in die Augen traten. „Obwohl er sich Tee gemacht hatte.“
„Wie soll ich das verstehen?“
„Eigentlich hat er nur selbst Tee gekocht, wenn er Besuch von guten Kunden hatte. Sonst habe ich
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