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Die Gordum-Verschwörung

Die Gordum-Verschwörung

Titel: Die Gordum-Verschwörung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Flessner
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denn auch, wer die Unterlagen abgeholt hat?“
    „Nein. Ich war nicht im Haus, als er kam.“
    „Als wer kam?“
    „Ich weiß es nicht. Irgendwer. Ein Mann jedenfalls. Herr Djuren hat mir nur gesagt, ein Mann wäre gekommen, der sich seine Sammlung ausgeliehen hätte. Das war alles.“
    „Und er hat die ausgeliehene Sammlung nicht wieder zurückgebracht?“
    „Das sehen Sie doch.“
    „Hat Herr Djuren sie nicht irgendwann zurückgefordert?“
    „Hat er. Ich kann mich erinnern, dass er mal telefoniert hat. Wegen der Akten aus dem Schrank.“
    „Können Sie sich auch noch erinnern, mit wem er telefoniert hat?“
    „Tut mir leid. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Sind Sie bald fertig?“
    Djuren hatte kein Wort davon am Telefon gesagt, weder von einem Archiv, noch von der Tatsache, dass er es nicht mehr besaß. Greven wandte sich von der Pflegerin ab, entlud das überschüssige Adrenalin in einem leisen Fluch, holte tief Luft und stellte das ganze Arbeitszimmer auf den Kopf, riss es aus seinem Winterschlaf, ließ den Staub zu Nebel aufsteigen. Wütend bahnte er sich einen Weg durch antiquierte Schulbücher, Biographien von Alexander dem Großen, Bismarck und Adenauer, durch alte Lehrerkalender und kaum reformierte Lehrpläne, bis er doch noch fündig wurde. Begraben unter einem Stapel Briefmarkenalben – Deutsche Kolonien, wahrscheinlich einiges wert – versteckte sich ein kleiner Karton mit drei unberührten Exemplaren eines dünnen Bändchens mit dem Titel Gordum . Er nahm sich ein Buch, verschloss den Karton wieder, stapfte mit großen Schritten durch das umgepflügte Arbeitszimmer und baute sich, leicht angestaubt, vor der Pflegerin auf.
    „Dieses Buch werde ich mir für einige Zeit ausleihen.“
    „Ja, dürfen Sie denn auch …?“
    „Ich darf“, schnaufte er, „und außerdem ist es ja nur leihweise. Wenn Ihnen noch irgendetwas einfällt, zum Beispiel, wer die Unterlagen von Herrn Djuren abgeholt hat, rufen Sie mich bitte an. Hier ist meine Karte. Außerdem bitte ich Sie, mich über den Gesundheitszustand von Herrn Djuren auf dem Laufenden zu halten. Vor allem, falls er wieder ansprechbar sein sollte, melden Sie sich bitte sofort. Ach ja, da wäre noch etwas. Wissen Sie, wie der Bruder von Herrn Djuren heißt?“
    „Auch Djuren.“
    „Ach was.“
    „Garbrand. Garbrand Djuren.“
    „Haben Sie auch seine Adresse in den USA?“
    „Nicht griffbereit. Aber ich kann sie Ihnen raussuchen.“
    „Tun Sie das.“
    „Jetzt? Sofort?“
    „Ich warte.“
    Im Wohnzimmer reichte er dem todkranken Lehrer noch einmal die Hand, lächelte ihn an, wünschte ihm alles Gute, was auch immer das in seinem Fall heißen mochte.
    „Wiedersehen“, sagte die Pflegerin und reichte ihm einen Notizzettel mit der gewünschten Adresse.
    „Das glaube ich kaum“, kommentierte Greven. An der nächsten Kreuzung kam ihm ein Krankenwagen entgegen, wahrscheinlich mit dem Auftrag versehen, Djurens Lebensrest einem kalten Krankenhauszimmer samt Schläuchen, Amplituden und klirrender Einsamkeit zu übergeben. Er überlegte kurz und beschloss, wieder den Weg über Dornum zu nehmen.
    Auf der Höhe von Dornumergrode fand Greven auf freier Strecke eine passende Parkmöglichkeit, ließ den Wagen dort stehen und suchte sich auf der Seeseite des Deiches ein schönes Plätzchen. Die Luft war kaum in Bewegung, turnte ein wenig im Gras, flirtete mit der Lerche, die hoch über ihm sang, und war getränkt mit den Botschaften der See und der Inseln, die vor ihm im Wattenmeer lagen. Windstärke 3. Leichte Brise. Auch wenn es sich ihm für einen Moment aufdrängte, das Wort ‘Kitsch’ ließ Greven nicht gelten, nicht für ein Bild, das man erleben konnte, das nicht vorsätzlich hergestellt worden war. Er lehnte sich zurück, lenkte den Blick in den Himmel und verlor sich in den Wolken, die ein Maler zwar ohne große Probleme in Kitsch hätte verwandeln können, die aber selbst kein Kitsch waren. Für ein paar Minuten, die er nicht zählte, schaltete er ab, genoss es, nicht im Büro zu sein, sondern am Deich zu liegen, in der Provinz, scheinbar fernab der Welt, deren Brodeln hier nicht spürbar war. Im Moment jedenfalls nicht. Wolken. Eine Lerche. Warmer Seewind. Salzgeruch, der Kindheitserinnerungen weckte.
    Doch die Welt holte ihn schnell wieder ein, lag in Gestalt von Harm neben ihm am Deich, wie früher, lachte, erfand Fantasieworte, träumte laut, schimpfte auf das Fernsehen, die Schule, auf Präsident Nixon. Greven schlug die Augen auf und

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