Die Gordum-Verschwörung
allem die, die er auch bei Harm gesehen hatte, eine bunte Mischung aus Marx, Tolkien und Druiden. Nur Djurens Gordum konnte er nicht entdecken. Bei den Schallplatten sah es ähnlich aus. Cream, Zappa, Soft Machine. Das Beste, was die späten Sechziger und frühen Siebziger zu bieten hatten, in Klarsichthüllen, faktisch neuwertig. CD-Player und Fernseher gab es nicht. Dafür lehnte in einer Ecke des kleinen Raums eine weiße Fender Stratocaster an der Wand, ein Kabel führte zu einem VOX-Kofferverstärker. Diverse Songbooks lagen aufgeschlagen auf dem Boden, ebenso ein Heft mit Grifftabellen für die Rockgitarre.
Häring schüttelte fassungslos den Kopf, Greven ging in die Knie, tastete sich bis zu Jimi Hendrix vor und zog die Electric Ladyland aus dem Kistenregal. Auf diesen Versuch konnte er einfach nicht verzichten. Doch das Cover der Doppel-LP verbarg diesmal kein Geheimnis.
„Kannst du mir das erklären?“, fragte Häring, der große Augen machte. „Hier sieht es ja genau aus wie auf dem Kutter von Harm Claasen. Fast wie eine Kopie. Nur das rote Sofa fehlt. Oder sind wir im falschen Film?“
„Offensichtlich nicht. Vielmehr sind wir im selben Film. Genauer gesagt, in der Wiederholung. Als Amateurpsychologe würde ich vermuten, sie hat Versäumtes nachholen wollen, oder sie hat das nachholen wollen, von dem sie gemeint hat, es versäumt zu haben. So ungefähr stelle ich mir das vor. Aber dass sie das so konsequent durchgezogen und durchgehalten hat? Dass es ihr nicht irgendwann gereicht hat? Unglaublich!“
„Claasen muss so eine Art Idol für sie gewesen sein, ein Vorbild.“
„Das ist nicht zu übersehen. Wie sonst ist dieses Zimmer zu erklären, die Schallplatten, die Bücher, die Gitarre. Übrigens nicht ganz billig, so eine alte Fender. Es muss einige Zeit gedauert haben, dies alles zusammenzutragen, denn sie war damals ganz anders drauf, hat andere Platten gehört, andere Klamotten getragen, verstehst du? Sie muss dieses Zimmer nach dem Tod ihres Vaters eingerichtet haben, in den achtziger Jahren, als schon alles vorbei war.“
„Ziemlich heftig, findest du nicht auch?“
„Allerdings.“
„Hast du so etwas schon mal gesehen?“
„Nein, nicht in dieser kompromisslosen Form.“
„Und du hast nichts davon gewusst?“
„Nichts. Im Gegenteil, ich habe Gesine immer als sehr rational eingestuft, als pragmatisch. So, wie sie mit ihrer Mutter das Haus umgebaut und geführt hat. Dabei hat sie sich hier ihren rückwärts gewandten Utopien hingegeben.“
„Ist das Zimmer durchsucht worden?“
„Sieht nicht danach aus. Überlassen wir es Hansen. Fest steht jetzt, dass Gesines und Harms Beziehung wesentlich enger gewesen sein kann, als es im Dorf den Anschein gehabt hat und wir es gedacht haben. Wir sollten davon ausgehen, dass Harm sie über seinen Fund informiert hat. Sie wusste mit großer Wahrscheinlichkeit, was Harm gefunden zu haben glaubte. Und vielleicht wussten es andere auch.“
„ Lü van Gordum ?“
Greven nickte erst, gab aber dann durch ein Achselzucken zu
verstehen, dass er es auch nur vermuten konnte. Er ging zurück in die Küche. Noch immer hockte Frau Oltmanns stumm auf ihrem Stuhl und starrte ins Nichts. Langsam hob sie den Kopf, als Greven sie ansprach.
„Frau Oltmanns, es tut mir leid, aber wir müssen Ihnen ein paar Fragen stellen. Wann hat Gesine gestern Abend oder gestern Nacht das Haus verlassen? Können Sie uns das sagen? Es ist wichtig.“
Statt die Frage zu beantworten, sprang Gesines Mutter unvermittelt auf und begann, auf Greven mit den geballten Fäusten einzutrommeln und mit den Füßen nach ihm zu treten. „Du bist an allem schuld! Du hast den Mörder nicht gefunden, und jetzt ist Gesa tot! Du bist schuld! Du hast sie auf dem Gewissen! Gib mir meine Gesa zurück! Gib mir meine Gesa zurück!“
Der Angriff kam so überraschend, dass Greven nur reflexartig reagieren konnte. Ehe Häring ihm zu Hilfe eilen und die Frau von hinten packen konnte, hatte ein heftiger Tritt Grevens rechtes Knie erwischt. Er spürte einen schmerzhaften Stich im Gelenk und verlor das Gleichgewicht. Seine Hand verfehlte den Türrahmen, so dass er rücklings auf dem gefliesten Küchenboden landete, während Häring tapfer mit der noch immer um sich schlagenden und nun heftig weinenden Frau kämpfte. Es gelang ihm schließlich, sie auf die Eckbank zu zerren. Dort ließ ihm die Situation keine Wahl, er musste sie mit Handschellen an die Heizung fesseln.
Als Greven das Bewusstsein
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