Die Gordum-Verschwörung
ihn bemüht. Nein, Gesine war Gordum auf eine unbekannte Weise zu nahe gekommen. Viele Puzzleteile, die er mühsam sortiert und für bestimmte weiße Flächen vorgesehen hatte, mussten nun neu geordnet werden. Gesine hatte etwas mit der Münze zu tun, die er wie immer in seiner Hosentasche trug. Nun war er sich absolut sicher, dass sie ihm etwas verschwiegen hatte, doch das half ihm im Moment auch nicht weiter. Immer wieder tauchten Bilder von der letzten Begegnung auf, von der Clique, von den kurzfristigen Heimkehrern. Wer von ihnen war noch hier? Wer hatte die Gelegenheit genutzt, um noch ein paar Tage zu bleiben? Er ließ ihre Gesichter in Gedanken Revue passieren.
In diesem Augenblick quäkte sein Handy die vertraute Melodie. Ackermann. Er war auf einem der Kutter fündig geworden. Er gehörte Gesines Onkel und besaß neben den beiden Bäumen, an denen die Fanggeschirre hingen, auch noch einen Baum für ein Gaffelsegel. Bei Kuttern älterer Bauart war dies nicht selten. Greven schnappte sich Hansen und machte sich auf den Weg.
Ackermann erwartete sie vor dem Hafenkieker . Der Kutter lag direkt gegenüber und wurde bereits von einem Uniformierten bewacht. Jan Rasmus stand auf dem Spiegelheck des Holzrumpfes, der deutlich kleiner als der der neueren Kutter aus Stahl war. Zu dritt gingen sie an Bord.
„Vorsicht“, sagte Ackermann. „Hier ist die Stelle.“
Er deutete mit dem Finger auf den Baum, der zum Befestigen des Unterlieks diente. Ein Segel war jedoch nicht vorhanden, denn der Baum war erst kürzlich gelb gepönt worden. Etwa in der Mitte des Baums war bei genauem Hinsehen ein unscheinbarer bräunlicher Fleck zu erkennen. Hansen zückte sofort seine Riesenlupe, die ihm ein Zyklopenauge verlieh, und nahm sich den Fleck vor.
„Ja, das könnte es sein“, urteilte der Experte. „Ich kann es noch nicht mit Bestimmtheit sagen, aber das sieht nach Blut und einigen Haaren aus. Das Opfer könnte tatsächlich von dieser Spiere am Hinterkopf getroffen worden sein. Wie hast du das bloß entdeckt?“
„Ich habe nach etwas Gelbem gesucht. Sieh dich mal um. Viel kommt da nicht in Frage.“
Während Hansen sein Handy zückte und seine Kollegen mobilisierte, traten Greven und Ackermann ein paar Schritte zurück und versuchten, eine Hypothese zum Tathergang aufzustellen.
„Falls in der vergangenen Nacht der Wind aufgefrischt hat, könnte Gesine Oltmanns von dem hin und her schlagenden Baum getroffen worden sein“, meinte Ackermann, doch war seinem Ton anzumerken, dass er diese Möglichkeit lediglich ausschließen wollte.
„Ist der Baum denn nicht verzurrt?“
„Nein, die Leinen fehlen.“
„Das haben wir gleich“, sagte Greven, ging von Bord und wechselte ein paar Worte mit dem Fischer, der direkt neben dem Uniformierten stand. Dann kehrte er zurück.
„Das ist Gesines Onkel. Er hat die letzte Nacht brav neben seiner Frau im Bett verbracht. Außerdem war es in der Nacht so windstill wie jetzt.“
„Das heißt?“
„Gesine stand an Deck des Kutters, ungefähr an dieser Stelle, also auf einem der Krabbenkörbe, die ihr Onkel vermutlich dort aufgebaut hat, um den Baum zu pönen. Vielleicht hat sie zum Yachthafen hinübergesehen. In diesem Augenblick hat jemand dem Baum einen kräftigen Stoß gegeben, der Baum hat Gesine am Hinterkopf erwischt und über Bord befördert. Dort ist sie dann ertrunken. Wie klingt das?“
Ackermann rekonstruierte mit den Augen jede Phase des Vorgangs und nickte schließlich. „So könnte es gewesen sein. Hansen wird das feststellen, da bin ich mir sicher. Wahrscheinlich werden sich auch an der Bordwand noch Spuren von dem Sturz finden lassen. Nur, was um Himmels Willen hat Gesine in der Nacht auf dem Kutter ihres Onkels gesucht?“
„Sie hatte sich hier verabredet“, schlug Greven vor, „und zwar mit Harms Mörder.“
Ackermann sah ihn an, ohne ein Wort zu sagen. Er überließ seinem Chef die Hypothesenbildung.
„Sie hat gewusst, wer Harm getötet hat. Irgendwie hat sie es erfahren oder erraten. Unmittelbar nach dem Mord hat sie es aber noch nicht gewusst, das hätte ich gemerkt. Aber beim Lokaltermin im Hafenkieker hat sie den Täter bereits gekannt.“
„Und warum hat sie dir nichts gesagt, aber ihn letzte Nacht hierher beordert?“
„Das ist die Frage. Hier sehe ich eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Wieder einmal könnte Gordum, in welcher Weise auch immer, der Grund gewesen sein. Oder es war ein Bekannter, den sie zur Rede stellen wollte, den sie hierher
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