Die Gottessucherin
Hafen«, sagte Samuel. »Bald wird alles gut.« »Warum ... gehen wir dann nicht ... von Bord?« »Wir liegen vor Anker auf Reede und müssen warten, bis wir anlegen dürfen.«
»Ich ... habe Angst... Dass wir untergehen. Ich ... ich kann doch nicht ... schwimmen.«
Benjamin schlug plötzlich um sich, mit Armen und Beinen, als würde er ertrinken, um dann, von einem Moment zum anderen, wieder in jenen bleischweren Fieberschlaf hinabzufallen, in dem nicht mal ein Traum ihn mehr erreichen konnte. Sein Leiden zerriss Samuel das Herz. Warum hatte er seinen Bruder nicht in Frieden gelassen? Alles war seine Schuld. Wäre er nicht gewesen, dann würde Benjamin jetzt in der Werkstatt des Hutmachers sitzen und mit seinen Brüdern unter Aufsicht des Vaters arbeiten, ruhig und zufrieden. Vielleicht würden sie auch schon Feierabend machen, sich auf das Abendbrot freuen und dabei einen Ausflug für den Sonntag planen, eine Wanderung hinaus aus der Stadt, mit Musik und Wein in irgendeiner Dorfschenke ... Stattdessen musste er diese Qualen erleiden, und es lag allein in der Hand des Herrn, ob Benjamin das Fieber überlebte. »Möge Gott dir sein Antlitz zeigen und dir Frieden geben«, betete Samuel. »Auf deine Hilfe hoffe ich, Ewiger. Ich hoffe, Ewiger, auf deine Hilfe. Ewiger, auf deine Hilfe hoffe ich.« Jemand berührte ihn an der Schulter. Samuel drehte sich um.
Vor ihm stand Eliahu Soarés und reichte ihm ein Säckchen. »Gib das deinem Bruder. Das wird ihm helfen.«
Samuel nahm das Säckchen, um daran zu riechen. »Nelken?«, fragte er. »Wozu?«
»Für den Zahn«, erwiderte Eliahu Soarés. »Noch wichtiger aber ist das hier.« Er griff in seine Jacke und zog einen Beutel hervor. »Brau ihm damit einen Tee. Gegen das Fieber.« Samuel zögerte. Eliahu Soraes war ein Apotheker aus Fatima, den nicht die Inquisition, sondern ein weltliches Gericht zum Tode verurteilt hatte. Angeblich hatte er eine Jungfrau vergiftet, am Vorabend ihrer Hochzeit, und der Hinrichtung war er nur durch die Bestechung eines Wärters entkommen. Niemand an Bord konnte ihn leiden, keiner traute ihm über den Weg. Allen drängte er seine Kräuter auf und ließ sich dafür fürstlich entlohnen, zu Beginn der Fahrt mit Geld, seit der Ankunft im Hafen mit Lebensmitteln. Er war der einzige Flüchtling auf der Esmeralda, der immer satt zu essen hatte. Nicht wenige glaubten, er habe die Jungfrau nur vergiftet, um die Wirkung einer Arznei auszuprobieren. »Nun, worauf wartest du?« »Ihr habt nicht gesagt, was es kostet.«
»Ich will kein Geld von dir«, sagte Eliahu mit einem unheimlichen Lächeln. »Ich helfe euch nur, weil ich deinen Bruder mag.« Samuel erwiderte seinen Blick. Warum verlangte der Apotheker keinen Lohn? Ihm wäre das lieber gewesen. Aber so? Eliahus grinsendes Gesicht war das Spottbild eines Juden: krumme Nase, vorquellende Augen, wulstige Lippen. Genauso sahen die Gottesmörder aus, vor denen die Dominikaner in den Kirchen die Gläubigen warnten.
Durfte man einem solchen Menschen vertrauen?
23
Um eine Striktur oder Verengung der Harnröhre infolge warziger Fleischwucherungen zu kurieren, empfahlen die medizinischen Lehrbücher, sofern die Anwendung von Quecksilber und Chinawurzel versagte, eine Reihe komplizierter Operationen. Danach setzte man den Patienten in einer Vorbereitungskur auf schmale Kost und ließ ihn tüchtig purgieren. Für den eigentlichen Eingriff legte man ihn sodann, nachdem die Schwiele durch Einspritzungen von Leinsamen- oder Eibischabkochung gehörig erweicht worden war, rücklings auf einen Tisch, fasste sein Glied mit der linken Hand komprimierend hinter der Striktur zur Verhütung von Blutungen, streckte sein Membrum in die Länge und führte ein schmales, spitzes Messer ein. Hatte dessen Spitze die Verengung passiert, drehte man die Schneide rings um die Innenfläche der Harnröhre herum. Die abgeschnittenen Exkreszenzen entfernte man, falls sie nicht spontan entleert wurden, vermittels einer kleinen Zange. Zur Erhaltung der Erweiterung sowie zur Entfernung verbleibender Restwucherungen brachte man aus Papyrus gefertigte Bougien oder Dehnsonden in verschiedenen Stärken ein, deren vorderes Ende mit einem Grünspan oder Alaun enthaltenden Pflaster armiert war. Nach vollständiger Zerstörung der Fleischwärzchen wurden noch acht Tage lang, zur Sicherung der Heilung und Offenhaltung der Harnröhre, einfache, weder mit Pflastern noch mit Salben bewehrte Bougien eingeführt.
Während ältere Autoren
Weitere Kostenlose Bücher