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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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zur Einspritzung von zerkleinertem Marmor, Glas und ähnlich scharfen Substanzen rieten, um das Übel restlos zu beseitigen, warnten die meisten jüngeren Autoren nachdrücklich vor dieser Prozedur, da sie zu Entzündungen und oder gar zum Tode führen könne. Und obwohl Amatus Lusitanus selbst zu diesen Autoren gehörte, gedachte er in dem Fall, der heute in seiner Praxis zur Behandlung anstand, eine solche Einspritzung vorzunehmen. Sein Patient, Cornelius Scheppering, hatte nichts anderes verdient. Dona Gracia hatte ihm offenbart, welches Leid der Dominikaner ihr zugefügt hatte, vor vielen Jahren, in ihrer Heimatstadt Lissabon, und jetzt lagen auf seinen Befehl zwei Schiffe im Hafen, auf denen er Hunderte von Juden verhungern und verdursten ließ.
    Ja, Dona Gracia hatte recht. Dieser Mann war kein Mensch, sondern ein Teufel - ein Teufel im Mönchsgewand. Sogar Gracia hätte er leichtfertig angesteckt, er hat ja nicht gewusst, dass die Ansteckungsphase schon vorbei gewesen war. Sein Leben bedeutete für andere den Tod, sein Tod hingegen könnte Leben retten. >Wenn dich jemand töten will, komm ihm mit der Tötung zuvor ...<
    Die Turmuhr der Sankt-Pauls-Kirche schlug zur vollen Stunde. Von innerer Unrast getrieben, verließ Amatus Lusitanus sein Pult, an dem er die Lehrbücher noch einmal studiert hatte, und lief in seiner Kammer auf und ab. Während er nichts anderes wünschte, als dass dieser Tag vorüber wäre, verfingen sich seine Augen an den Worten, die in Schönschrift und mit kunstvollen Schnörkeln versehen auf einer Wandtafel prangten: Ärztliche Verordnungen werde ich treffen zum Nutzen der Kranken nach meiner Fähigkeit und meinem Urteil; hüten aber werde ich mich davor, sie zum Schaden und in unrechter Weise anzuwenden.
    Auch werde ich niemandem ein tödliches Gift geben, auch nicht, wenn ich darum gebeten werde, und ich werde auch niemanden dabei beraten.
    Rein und fromm werde ich mein Leben und meine Kunst bewahren.
    In alle Häuser, in die ich komme, werde ich zum Nutzen der Kranken hineingehen, frei von jedem bewussten Unrecht und jeder Übeltat.
    Wenn ich diesen Eid erfülle und nicht breche, so sei mir beschieden, in meinem Leben und in meiner Kunst voranzukommen, indem ich Ansehen bei allen Menschen für alle Zeit gewinne; wenn ich ihn aber übertrete und breche, so geschehe mir das Gegenteil.
     
    Mit welcher Inbrunst hatte Amatus einst diesen Eid geschworen, den Eid des Hippokrates, bei seinem Examen an der Universität von Salamanca. War es möglich, dass eine Frau nun größere Macht über ihn hatte als dieser Schwur? Es klopfte an der Tür. »Herein.« »Gelobt sei Jesus Christus.«
    Cornelius Scheppering betrat die Kammer. Als Amatus Lusitanus das blasse, längliche Amengesicht erblickte, zerstoben seine Zweifel wie zusammengekehrtes Laub im Wind. Der scheinheilige Mönch hatte Gracia das Schlimmste angetan, was ein Mann einer Frau antun kann, und wenn diesem Teufel niemand Einhalt geböte, würde er womöglich Hunderte unschuldiger Menschen umkommen lassen, einzig deshalb, weil sie Juden waren. »Seid Ihr bereit?«, fragte Amatus. Ohne eine Antwort abzuwarten, reichte er seinem Patienten ein bis an den Rand gefülltes Glas Branntwein. »Trinkt das, zur Betäubung.« Cornelius Scheppering lehnte ab. »Ich will die Prüfungen, die Gott der Herr mir auferlegt, mit klarem Sinn und Verstand erdulden.« »Das würde ich Euch nicht empfehlen. Der Eingriff wird Euch große Schmerzen bereiten, auch wenn wir zuvor die betreffenden Stellen kunstgerecht präparieren.«
    »Das alles wird nicht nötig sein. Ich habe mich anders entschieden.«
    »Wollt Ihr die Quecksilberkur verlängern?«, fragte Amatus, gleichzeitig erschrocken und erleichtert über die unverhoffte Wendung.
    »Nein«, sagte Cornelius Scheppering. »Ich möchte Euch im Gegenteil bitten, mich von der Wurzel des Übels selbst zu befreien.« »Was meint Ihr damit - Wurzel des Übels?« »Ich will, dass die Schlange für immer verstummt. Schlagt ihr den Kopf ab.« Und als er das verständnislose Gesicht seines Gegenübers sah, fügte er hinzu: »Ein Mann kann auch ohne Glied sein Wasser lassen, man muss nur eine künstliche Röhre einsetzen. Ich weiß, dass die Sänger des vatikanischen Kastratenchors keinerlei Schwierigkeiten damit haben, und auch von den Eunuchen des Sultans ist bekannt ...« »Wollt Ihr damit sagen, ich soll Euch entmannen?« »Ich bin fest dazu entschlossen. Trennt die Schlange von meinem Leib. Ich will es

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