Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
Vom Netzwerk:
gekommen war, zu dieser späten Stunde. Er musste es ihr sagen, hier und jetzt. »Ich danke dir«, flüsterte er.
    Ohne die Augen von ihm zu lassen, schüttelte sie den Kopf. »Danke nicht mir. Gott hat dich gerettet.«
    Er trat an den Rand des Beckens und streckte die Hand nach ihr aus. Noch nie hatte er eine Berührung mit solcher Inbrunst herbeigesehnt wie in diesem unwirklichen, überwirklichen Augenblick.
    Doch wieder schüttelte Gracia nur stumm den Kopf, und bevor seine Hand sie erreichte, kehrte sie ihm den Rücken zu und tauchte ein in das dunkle, bodenlose Becken. Und während das schwarze Wasser sie umspülte, ihre Schultern, ihren Hals, ihren Kopf, bis es über ihrem Scheitel zusammenschlug, formten seine Lippen jene drei Worte, die er seit so vielen Jahren zu keiner Frau mehr gesagt hatte: »Ich liebe dich.«
     

28
     
    Nur ein feiner, blassblauer Dunst trübte den Himmel über dem Hafen von Antwerpen, als in der Morgenfrühe ein Dutzend Soldaten die Esmeralda enterte. Das ganze Schiff dröhnte von den schweren Stiefelschritten wider. Die Flüchtlinge unter Deck hielten den Atem an. Hatte ihre letzte Stunde geschlagen? Während sie ängstliche Blicke miteinander tauschten, ertönte plötzlich über ihren Köpfen ein Prasseln und Rappeln, als ginge ein schweres Hagelwetter auf die Deckplanken nieder. Gleich darauf sprang die Klappe über dem Niedergang auf, und das aufgedunsene Gesicht des Bootsmanns erschien darin. »Alle Mann an Deck! Essen fassen!«
    Über hundert Augenpaare schauten Samuel Usque an, der am Lager seines Bruders hockte, um ihm mit einem nassen Lappen die Stirn zu kühlen.
    »Geh du voraus, wir trauen uns nicht«, sagte Esau Benites, ein Schlachter aus Porto.
    Samuel warf den Lappen in den Wasserkübel, und obwohl er genauso viel Angst hatte wie seine Glaubensbrüder, verließ er Benjamins Lager.
    Vorsichtig öffnete er die Luke, die ins Freie führte. Nach über einer Woche in der Dunkelheit blendete ihn das Tageslicht so sehr, dass er zuerst gar nichts sah. Doch kaum hatte er sich an die Helligkeit gewöhnt, traute er seinen Augen nicht. So musste es ausgesehen haben, als die Juden in der Wüste aufgewacht waren und erkannten, dass der Herr für sie gesorgt hatte.
    Erleichtert drehte Samuel sich um und winkte die anderen zu sich. Plötzlich stürmten alle an Deck, und im nächsten Moment erscholl lautes Freudengeschrei.
    »Ein Wunder ist geschehen!«
    »Der Herr hat Manna regnen lassen!«
    Das ganze Deck war übersät mit Broten, und man brauchte sich nur zu bücken, um für Tage satt zu essen zu haben. Jeder drängte jeden beiseite, um die Laibe einzusammeln. »Seht nur, wie knusprig es ist.«
    »>Weiß wie Koriandersamen<, genau wie es geschrieben steht.« »Nein, es steht geschrieben: >Fein wie Reif    Ja, Senhor Aragon, der Generalkommissar des Kaisers für Converso-Angelegenheiten, hatte Wort gehalten und die Versorgung der Flüchtlinge befohlen, wie mit Gracia Mendes vereinbart. Samuel ging wieder unter Deck. Während seine Glaubensbrüder ihre Brote brachen und mit vollem Mund darüber stritten, ob sie die Laibe aufbewahren dürften oder bis zum Abend verzehren mussten wie ihre Väter in der Wüste, weil das Manna über Nacht verdarb, kehrte Samuel an das Lager seines Bruders zurück. »Sie haben uns Brot gegeben«, sagte er. »Hier - riech mal, wie es duftet.«
    Er brach eine Ecke ab und hielt es Benjamin unter die Nase. Doch sein Bruder warf sich nur im Schlaf hin und her. Das Fieber war immer noch nicht gesunken, im Gegenteil. Mehrmals am Tag zog Samuel seinen Bruder vollständig aus, um seinen nackten Leib in ein nasses Tuch sowie eine wollene Decke einzuschlagen, und stündlich gab er ihm von dem Tee zu trinken, den der Apotheker ihm verschrieben hatte, doch das Fieber stieg und stieg mit jedem Tag.
    Hatte Eliahu Soarés ihn vergiftet?
    Während die anderen in Gruppen zusammensaßen, um Gott für die wundersame Speisung zu loben, hockte der Apotheker abseits in seiner Ecke und aß wortlos sein Brot. Nicht einmal heute, an diesem unverhofften Feiertag, wollte jemand mit ihm zu tun haben.
    »Was habt Ihr ihm gegeben?«, fragte Samuel. »Eure Arznei macht meinen Bruder nur noch kränker.« »Ich habe dir schon hundertmal erklärt, was in dem Trank ist«, erwiderte Eliahu, ohne von seinem Brot aufzuschauen. »Chinarinde gegen das Fieber, Chilischoten, um die Hitze auszutreiben, Ingwerwurzel gegen

Weitere Kostenlose Bücher