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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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rühren. Welche Erleichterung hatte sie empfunden, als der Scharfrichter ihn vom Richtblock gebunden hatte - und jetzt? Nach seiner Freilassung war Diogo durch die ganze Stadt mit ihr gefahren, zur Börse und zum Hafen, zum Kontor und zu den Speichern, um aller Welt zu zeigen, dass er wieder da war, heil und unversehrt, dass er, Diogo Mendes, stärker war als seine Gegner, stärker als die Regentin und sogar der Kaiser ... Und die ganze Zeit über hatte er sie begehrt, mit seinen Blicken, mit seinen Händen. Das hatte sie doch gesehen und gespürt! Aus der Kammer nebenan drang ein leises Brabbeln. Das war La Chica. Manchmal, wenn sie träumte, sprach sie im Schlaf. »Ich habe Angst«, flüsterte Brianda.
    »Angst? Weshalb?«, fragte Diogo. »Sie werden es nicht noch mal wagen, mich einzusperren.«
    »Und wenn sie es doch tun?« Sie spürte, wie ihr die Tränen kamen. »Bitte, Diogo. Denk an unsere Tochter. Was soll dann aus ihr werden? Du hast noch nicht mal ein Testament gemacht.« »Was willst du damit sagen? Hast du Angst, dass du leer ausgehst?«
    Brianda spürte, dass er sie im Dunkeln böse von der Seite anschaute. Womit hatte sie diese Frage verdient? Auch sie fühlte sich plötzlich so nackt, dass sie ihre Blöße kaum ertrug, und wollte sich verhüllen. Aber es war kein zweites Laken da. »Nein«, sagte sie, »ich möchte nur, dass du vorsichtig bist.« Sie tastete nach seiner Hand. »Hör nicht auf Gracia. Sie glaubt, dass Gott uns beschützt, aber das tut er nicht.« Statt den Druck ihrer Hand zu erwidern, zog Diogo seine Hand zurück und richtete sich auf. »Vielleicht hast du recht«, sagte er. »Vielleicht sollte ich wirklich ein Testament machen. Dann ist La Chica versorgt, wenn etwas passiert.«
    Noch während er sprach, verließ er das Bett. Brianda wollte ihn zurückhalten, aber sie wagte es nicht. Wortlos sammelte er seine Kleider vom Boden auf und zog sich wieder an. »Willst du noch mal fort?«, fragte sie irritiert. »Ja«, sagte er und schloss seinen Gürtel. »Ich muss ins Judenhaus.«
    »Um diese Zeit?«
    »Etwas Wichtiges. Besser, ich erledige es heute statt morgen.« Dann drehte er sich um, ohne einen Kuss oder eine Erklärung, und verschwand zur Tür hinaus.
    Während seine Schritte im Treppenhaus verhallten, starrte Brianda gegen die Wand. Sollte sie wirklich glauben, dass er ins Judenhaus ging, mitten in der Nacht?
    Nein, viel eher glaubte sie, dass er zum Goldenen Anker wollte. Um sich bei den Dirnen zu holen, was er bei ihr nicht bekommen hatte. Unten im Hof ging knarrend das Tor. Dann war alles still. Auch La Chica war wieder eingeschlafen. Brianda drehte sich zur Seite und weinte in ihr Kissen.
     

27
     
    Gelb spiegelte sich der Mond in den Butzenscheiben der Bürgerhäuser, als Diogo den nächtlichen Marktplatz überquerte. Die ganze Stadt schien zu schlafen, nur in wenigen Fenstern brannte noch Licht, und die Schritte seiner genagelten Stiefel hallten laut in der Stille wider.
    Er wollte zum Kipdorp gehen. Brianda hatte recht, die Gefahr war nicht gebannt, nur weil man ihn heute hatte laufenlassen, und im Judenhaus waren Dokumente versteckt, die er beiseiteschaffen sollte, bevor sie in fremde Hände fielen: Namenslisten von Marranen, die auf Schiffen der Firma Mendes vor der Inquisition geflohen waren, Belege von Einzahlungen und Wechseln, Landkarten mit eingezeichneten Reiserouten ... Doch war das der einzige Grund, warum er mitten in der Nacht aus dem Haus geflohen war?
    Nein, er hatte es nicht länger ausgehalten mit seiner Frau, in einer Kammer, in einem Bett mit ihr, und er würde erst zurückkehren, wenn sie schon eingeschlafen wäre.
    Nach seiner Freilassung hatte er sich für ein paar Stunden gefühlt, als hätte ihm jemand ein zweites Leben geschenkt, und während er sich der Stadt präsentierte, um den Triumph über seine Gegner zu feiern, war eine solche Lebenslust über ihn gekommen wie seit Jahren nicht mehr, und die hatte sich irgendwie Platz schaffen müssen. Aber Briandas Versuch, ihm Gefühle vorzugaukeln, die sie nicht empfand, hatte ihm alle Lust vergällt. Sie hatte sich sogar mit Speichel einreiben müssen, damit er überhaupt zu ihr kommen konnte.
    War es ein Fehler gewesen, sie zu heiraten? Er hatte sich auf den Handel eingelassen, um das Vermögen der Firma zusammenzuhalten. Außerdem war Brianda die schönste Frau von Antwerpen, und warum sollte eine Ehefrau nicht auch zur Geliebten taugen? Doch darin hatte er sich getäuscht. So reizvoll die Vorstellung

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