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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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gewesen war, Brianda zur Geliebten zu haben - zur Ehefrau taugte sie so wenig wie die Ehe zur Liebe. Das bewiesen die Bilder, die er von ihr hatte malen lassen. Immer wieder hatte er gehofft, darin die Frau zu finden, nach der er sich sehnte. Doch er hatte sie in keinem dieser Bilder gefunden, so wenig wie in seiner Ehe. Jetzt fühlte er sich wie ein betrogener Betrüger und bereute, nicht in den Goldenen Anker gegangen zu sein. Die falsche Lust der Huren hätte keinen solchen Schaden angerichtet. Plötzlich merkte er, dass er sich verlaufen hatte. Was hatte er auf dem Groenplaats verloren? Zum Kipdorp ging es in die entgegengesetzte Richtung!
    Er überlegte gerade, ob der Goldene Anker wohl noch geöffnet hätte, da fiel sein Blick auf Gracias Haus. In einem Fenster brannte Licht. War sie etwa noch wach? Diogo wusste, dass man ihm ohne die Zugeständnisse seiner Schwägerin die Hand abgehackt hätte. Doch er hatte noch keine Gelegenheit gehabt, ihr zu danken. Gracia war im Steen zurückgeblieben. Reyna sollte schon am nächsten Morgen nach Brüssel reisen, und sie hatten Mutter und Tochter erlaubt, den letzten Abend zusammen in der Residenz der Regentin zu verbringen.
    War jetzt die Gelegenheit, das Versäumnis nachzuholen? Die Vorstellung, wie Gracia voller Hochmut seinen Dank entgegennehmen würde, war Diogo alles andere als angenehm. Doch immerhin wären sie jetzt allein, und niemand könnte sehen, wie er sich vor ihr demütigen musste.
    Zwei steinerne Löwen bewachten den Eingang von Gracias Haus. Diogo gab sich einen Ruck und griff nach dem Türklopfer. Er wollte ihn gerade betätigen, da schlug es vom Turm der Kathedrale Mitternacht. Unschlüssig zögerte er, dann ließ er die Hand sinken. Nein, es war zu spät, um noch an eine fremde Tür zu pochen. Wenige Minuten später war er am Kipdorp. Die Dokumente, die er vernichten wollte, waren hinter einem unverfugten Stein im Keller des Judenhauses versteckt, neben der Treppe, die hinunter in die Mikwa führte.
    Im Kamin der Halle glomm noch der Rest eines Feuers. Offenbar hatte es am Abend eine Versammlung gegeben. Diogo entzündete einen Leuchter. Als er die Tür zu dem Kellerabgang öffnete, stutzte er. Das Gewölbe war vom Schein einer Fackel erleuchtet, und aus der Grotte hörte er Geräusche. Diogo hielt den Atem an. War hier eingebrochen worden? Die Geräusche kamen vom Ende des Ganges, erst Schritte, dann ein leises Plätschern. Keine Frage, jemand musste in der Grotte sein. Wollten sie etwa die Mikwa schänden? In Brügge waren vor einiger Zeit zwei Soldaten in ein Judenbad eingedrungen und hatten vor den Augen des Rabbiners in das Wasserbecken uriniert. Diogo griff nach dem Messer in seinem Gürtel und spähte um den Mauervorsprung. In der Grotte war eine Frau. »Gracia?«
    Diogo hatte schon Dutzende Frauen gesehen, aber noch nie hatte ihn der Anblick weiblicher Schönheit so sehr in den Bann geschlagen. Alles, wonach er sein Leben lang gesucht hatte, in flüchtigen Liebschaften und ernstem Verlangen, in seiner Ehe und in den vielen Bildern, die er von Brianda hatte malen lassen - hier schien es auf einmal gegenwärtig. Was war das Geheimnis? Gracia stand mit dem Rücken zu ihm, vollkommen nackt, bis zur Hüfte eingetaucht in das dunkle Wasser, und tat nichts, was nicht unzählige andere Frauen auch taten, wenn sie an diesem Ort waren. Sie tauchte ihre Hände in das Becken und begann ihren Körper zu waschen, mit gleichmäßigen ruhigen Bewegungen. Und doch war es, als würde er einer heiligen Handlung beiwohnen. So musste es gewesen sein, als einst die Mosestöchter am Ufer des Sabbaton gebadet hatten ... Auf einmal hatte Diogo das Gefühl, nicht länger bleiben zu dürfen. Jeder Blick war eine Sünde, eine Verletzung jener unsichtbaren Weihe, die Gracia im flackernden Schein der Fackel umgab. Er wollte sich abwenden. Da glitt das Messer aus seiner Hand und fiel zu Boden. Gracia drehte sich um. »Diogo?«
    Er wusste nicht, ob sie seinen Namen wirklich gesagt oder er es sich nur eingebildet hatte. Tränen rannen ihre Wangen hinunter, und aus ihren dunklen, schimmernden Augen sprach eine stumme Frage.
    »Was tust du hier?«
    Sie stand vor ihm, ruhig und gelassen, und ohne ihre Blöße zu bedecken, lächelte sie ihn durch den Schleier ihrer Tränen an, die Augen unverwandt auf ihn gerichtet. Versunken in einen Traum, tauchte sie wieder ihre Hände in das Becken und wusch sich weiter, als wäre er gar nicht da.
    Auf einmal wusste er, warum er an diesen Ort

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