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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Androhung der schlimmsten Höllenqualen davor gewarnt, sich von Senhor Aragon berühren oder küssen zu lassen, und um ihr jede Lust daran zu vergällen, hatte er behauptet, ihr Bräutigam habe für das Recht, um ihre Hand zu bitten, dem Kaiser zweihunderttausend Dukaten versprochen, zahlbar nach der Hochzeit, aus ihrem eigenen Vermögen ... Seitdem glaubte Reyna dem Dominikaner kein einziges Wort. Er war ein gemeiner Lügner -ihre Mutter hatte sie zu Recht vor ihm gewarnt. »Reyna, mein Goldstück, warum lasst Ihr mich so lange warten?« Das war
seine
Stimme! Reyna fiel ein Stein vom Herzen. Doch wo steckte er nur? Auf die Gefahr hin, der Regentin und Bruder Cornelius in die Arme zu laufen, durchquerte sie die Bildergalerie, die zum Ballsaal führte, doch keine Menschenseele war weit und breit zu finden. Durch die Fensterreihe sah Reyna am blassgrauen Himmel langsam die Dämmerung heraufziehen - Zeit für das Abendgebet ... Die Vorstellung versetzte ihr einen Stich. Als Kind war Reyna oft auf einen Schemel geklettert, um nach den Sternen zu schauen, und wenn sie mit ihrer Mutter betete, hatte sie immer wieder das Schma Jisrael mit dem Vaterunser verwechselt. Wie ein stummer Vorwurf schauten die Ölgemälde auf sie herab, Darstellungen der Höllenstrafen, gemalt von einem alten, bärtigen italienischen Maler namens Tizian, der gleichfalls im Palast lebte. Reyna fröstelte. Ihre Mutter würde sicher mit ihr schimpfen, weil sie alle ihre Gebete versäumte. Aber wie sollte sie hier ihre Glaubenspflichten erfüllen, ohne ihre Hochzeit und damit ihr Lebensglück zu gefährden?
    »Schaut nicht in den Himmel!«, flüsterte Senhor Aragons Stimme von irgendwoher. »Das Glück erwartet Euch hier auf Erden schon!«
    Reyna blickte sich um. Wieder ertönte die Laute, doch es klang, als käme sie von der Treppe.
    Plötzlich wusste sie, wo sie suchen musste. Im Zaubersaal! Das Gewölbe lag unter der großen Halle, angeblich feierte der Kaiser dort rauschende Feste, wenn er mit seinen Soldaten auf dem Schloss Station machte. Bruder Cornelius hatte ihr strengstens verboten, den Ort zu betreten - es hieß, von dort gelange man geradewegs in die Hölle. Doch der Klang der Laute lockte süß und verführerisch. Obwohl ihr die Knie weich waren vor Angst, folgte sie der Treppe hinab, und nachdem sie die Flügeltür durchschritten hatte, betrat sie einen Saal, der von zahllosen Kerzen erleuchtet war.
    Bei dem Anblick gingen ihr die Augen über. An den Wänden lagen künstliche Felsen, übersät mit Korallen und Blumen, mit Schildkröten und Eidechsen. Aus den Felsen sprudelten Quellen und Bäche in silberne Brunnen, in denen rote und schwarze Fische schwammen. Darüber waren gewölbte Spiegel aufgehängt, die das Licht der Kerzen tausendfach brachen, und die Decke war ein einziger riesiger Sternenhimmel, mit sämtlichen Tierkreiszeichen zwischen weißen Wolkengebirgen. Aber was war das? An der Stirnseite des Saals erblickte Reyna eine Szene von solcher Schamlosigkeit, dass ihr das Blut in den Schläfen rauschte. Eine nackte Frau hockte auf allen vieren am Boden und präsentierte ihr entblößtes Hinterteil, an dem ein Soldat seine Fackel entzündete. »Senhor Aragon?«, rief Reyna. »Wo seid Ihr?« Da geriet der Himmel in Bewegung, und während es plötzlich von überall her nach Zimt zu duften begann, fiel Zuckerwerk aus den Wolken herab, und ein gedeckter Tisch schwebte zu Boden, beladen mit golden schimmernden Schalen und Schüsseln, mit Flaschen und Gläsern aus glitzerndem Kristall sowie früchtetragenden Sträuchern. Reyna war starr vor Bewunderung. Was war im Vergleich zu dieser Pracht und Herrlichkeit das Gelobte Land, von dem ihre Mutter sprach?
    »So werden wir leben, alle Tage, wenn wir erst verheiratet sind.« Reyna drehte sich um. Vor ihr stand Senhor Aragon, schöner denn je in seinem goldenen Anzug. Das Blut schoss ihr ins Gesicht, und sie schlug die Augen nieder. Doch als gäbe es keine Scham, trat Senhor Aragon zu ihr und hob ihr Kinn, so dass sie seinen Blick erwidern musste.
    »Freut Ihr Euch schon auf mich?«, fragte er mit einer Stimme wie Samt, während seine Augen immer tiefer in sie drangen.
    Es war, als würde Gott ihr in die Seele schauen, und obwohl Reyna noch nie in ihrem Leben einen Mann geküsst hatte, auch gar nicht wusste, wie man das tat, öffnete sie ihre Lippen, im Vertrauen darauf, dass Senhor Aragon sie belehrte.
     

3
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    Gracia stand am Fenster und schaute in den Nieselregen hinaus, der sich wie

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