Die Gottessucherin
verachtete, aber er konnte es nicht wagen, sie aus ihrem Irrtum zu befreien. Er kannte Gracia, seit sie ein Kind war, und gerade die Eigenschaften, die er am meisten an ihr liebte: Stolz, Temperament, leidenschaftlicher Glaube, verboten ihm, ihr die Wahrheit zu sagen. Es stand zu viel auf dem Spiel - nicht nur seine eigene Existenz und die seiner Firma, auch das Leben anderer.
»Freuen, ja freuen mögen sich die Liebenden, wie du erfreut hast deine Geschöpfe im Garten Eden vor Anbeginn der Zeit. Gelobt seiest du, Ewiger, der du erfreust den Bräutigam mit der Braut.« Nachdem Rabbi Soncino die Trauung mit den Sieben Segenssprüchen beschlossen hatte, reichte er dem Brautpaar ein letztes Mal den Kelch mit dem Wein.
»Gesegnet seiest du, Herr, unser Gott, König der Welt, der Wonne und Freude erschuf, Jubel und Gesang, Freude und Frohlocken.« Voller Erwartung blickte die Gemeinde auf Francisco. Sobald er den Kelch geleert hatte, musste er ihn gegen den fünffach gezackten Davidstern werfen, der in ein Mauerstück des Patios eingelassen war. Traf er den Stern und das Glas zerbrach, bedeutete das viele Jahre Glück und Segen für seine Ehe. Wenn aber nicht, dann ...
Francisco trank einen Schluck und sprach die vorgeschriebenen Worte: »Wenn ich dich vergesse, Jerusalem, dann soll mir die rechte Hand verdorren.«
»Masel tov!«, rief die Gemeinde. »Glück und Segen!« Unter dem Applaus der Gäste hob Francisco den Kelch und warf ihn gegen die Mauer. Doch der Kelch verfehlte den Stern, das Glas zerbrach nicht und landete auf dem Boden. Ein enttäuschtes Raunen ging durch die Reihen der Hochzeitsgesellschaft, während der Kelch unversehrt vor Gracias Füße rollte.
7
»Kommt ein marranischer Rabbi in eine christliche Schlachterei ...«
Ein bunt kostümierter Spaßmacher, der seit Beginn des Hochzeitsmahls für die Unterhaltung der Gäste sorgte, hatte sich mit seinem Schellenbaum in der Mitte des Saals aufgepflanzt, um einen Witz zu erzählen.
»Fragt der Schlachter den Rabbi: Was wünscht Ihr? - Sagt der Rabbi: Ein großes Stück von dem Fisch dort! - Fragt der Schlachter: Von welchem Fisch? Ich habe keinen Fisch. - Zeigt der Rabbi auf die Auslage: Von dem da! - Ah, sagt der Schlachter, Ihr meint den Schinken? - Erwidert zornig der Rabbi: Habe ich dich nach dem Namen des Fisches gefragt?«
Gracia musste laut lachen. Doch das Lachen blieb ihr im Hals stecken, als sie sah, wie Francisco neben ihr einfiel. Wie konnte er es wagen? Er war doch genauso ein Heuchler wie der falsche Rabbi im Witz des Spaßmachers.
Das Hochzeitsmahl an der Seite des Bräutigams war eine einzige Qual. Zwar kamen ständig Gäste an ihren Tisch, so dass Gracia nie mit Francisco allein war, aber jede Minute erschien ihr wie eine Ewigkeit. Und wann immer ein Segenswunsch über sie gesprochen wurde, verkehrte dieser sich in ihrem Kopf in eine bedrückende Frage: Wie soll ich diese Ehe nur überleben? »Fühlst du dich nicht wohl?«, fragte Francisco, als hätte er ihre Gedanken erraten.
»Warum wollt Ihr das wissen?«, fragte sie zurück. »Habt Ihr Angst, ein schlechtes Geschäft gemacht zu haben?«
»Ich möchte nur, dass du glücklich bist. Vor allem an diesem Tag.«
Dachte er vielleicht schon an die Hochzeitsnacht? Gegen ihren Willen erwiderte sie seinen Blick. Wenn sie nur dieses Lächeln aus seinem Gesicht wischen könnte ... Sein Äußeres war ein Fleisch gewordenes Ärgernis, eine einzige zum Himmel schreiende Lüge. Mit seiner großen, kräftigen Gestalt, den schwarzen Locken und den hellblauen Augen war er genau die Art von Mann, in den sich ihre Schwester Brianda verliebte. Und der samtene Anzug stand ihm so gut, dass selbst der König ihn darum beneidete. Hätte sie nicht gewusst, was für ein Mensch er in Wirklichkeit war, sie müsste sich selbst zu diesem Mann gratulieren ... Doch sie kannte ihn und wusste es besser - die glattrasierten Schläfen, mit denen er sein Judentum leugnete, verrieten ihn. Na warte ... In dieser Nacht bekommst du einen Denkzettel, den du so schnell nicht vergisst.
»Danke«, sagte sie. »Ich fühle mich ausgezeichnet. Zum Glück bin ich nicht abergläubisch.« Sie hob den Kelch, den Francisco vergeblich gegen die Mauer geworfen hatte, und prostete ihm zu: »Masel tov!«
Auch er hob sein Glas, doch bevor er mit ihr anstoßen konnte, schlug der Spaßmacher dreimal mit seinem Schellenbaum auf. »Hochverehrte Hochzeitsgesellschaft! Die Geschenke!« Stühle wurden gerückt, und alle Blicke
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